Mein Deutschland:Ohne jedes Beispiel

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Italiens Ministerpräsident Enrico Letta wird am 30.04.2013 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen. (Foto: REUTERS)

In Italien wetten viele darauf, dass Angela Merkel nach der Bundestagswahl wiederkommt.

Eine Kolumne von Giovanni Maria Del Re

"Befriedung der verfeindeten Parteien", "Ende des Hasses", "historisches Bündnis". Es gibt kein anderes Land, zumindest in Europas Westen, wo eine große Koalition mit solchen emotionsbeladenen Begriffen begrüßt worden ist wie in Italien. Ja, die erst zwei Monate nach der Wahl entstandene Koalition zwischen der sozialdemokratischen PD und der von Silvio Berlusconi gegründeten und beherrschten PDL ist wirklich eine ganz große Neuigkeit für das Land. Nie zuvor nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Italien etwas Ähnliches erlebt.

Es war mühsam, weil der inzwischen zurückgetretene PD-Chef Bersani sich wochenlang hartnäckig dagegen gesträubt hatte, mit dem Erzfeind zu koalieren, obwohl seine Partei keine Mehrheit im Senat hatte und nur die PDL zur Verfügung stand. Wie immer öfter in der italienischen Politik, wurde schon wieder Deutschland als Beispiel genannt. "Warum können wir nicht ein normales Land sein wie Deutschland, wo die großen Volksparteien koalieren, wenn es nicht anders geht", fragten viele Kommentatoren. Ja, die große Koalition zwischen CDU und SPD ist noch nicht so lange her, und in Italien wetten viele darauf, dass sie nach der Bundestagswahl wiederkommt. Nicht zufällig hat der frischgekürte Ministerpräsident Enrico Letta bei seinem Antrittsbesuch in Berlin die Bundeskanzlerin um Rat gebeten, wie eine solche Koalition zu führen sei.

Viele Ratschläge konnte Angela Merkel ihm vermutlich nicht geben. Sie hatte zwar mit der ungeliebten SPD zu tun, aber sicher nicht mit einer so schrillen, umstrittenen und dominanten Figur wie dem Milliardär Silvio Berlusconi - und mit seinen Strafprozessen. Vor allem musste die Kanzlerin sich nicht täglich fragen, ob der von der Justiz "verfolgte" Anführer der Koalitionspartei wegen eines bevorstehenden Urteils die Regierung zum Sturz bringen könnte, in dem Glauben, dass er sich mit Neuwahlen - und dem wahrscheinlichen Sieg - besser schützen könnte. Und sie musste auch nicht zusehen, wie Abgeordnete und Minister des Koalitionspartners gegen die Richter demonstrieren, weil sie es wagen, gegen ihren Chef zu ermitteln. Da gibt es leider kein passendes Beispiel, von dem Letta sich etwas abschauen könnte. In Deutschland sicher nicht.

Giovanni Maria Del Re ist Europa-Korrespondent der italienischen Tageszeitung Avvenire.

© SZ vom 18./19./20.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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