Mein Deutschland:Neubeginn oder Untergang?

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In Liverpool sei John Lennon ein Kind gewesen, in Hamburg ist er erwachsen geworden.

Kate Connolly

"Deutschland war immer für einen Anfang gut." Sagt jedenfalls Jonathan Franzen. Vielleicht ist es der erfrischende Abstand zu Amerika oder seine Fähigkeit, in die deutsche Sprache einzutauchen, die dem US-Schriftsteller einen kreativen Schub gibt, wenn er in Deutschland ist. Jedenfalls erzählte er unlängst, wie er sein Anfangswerk in Berlin begann, einige Kapitel seines zweiten Buches in Bayern schrieb und die ersten Seiten seines neuesten und viel beachteten Romans "Freiheit" während einer Reise in die deutsche Hauptstadt begann. Selten loben angelsächsische Schriftsteller die deutsche Sprache so, wie Franzen es tut. Deshalb hat es mich neugierig gemacht und auch berührt, als er sagte, er benutze Deutsch, um seinen Stil zu testen - manchmal übersetze er seine Sätze, um ihren Ausdruck zu hören: Haben sie Ironie und Humor? Sind sie klar genug?

Die Beatles:  In der Großen Freiheit gaben die Beatles ihrer Karriere den entscheidenden Kick. (Foto: ag.ap)

Franzen ist allerdings nicht der Einzige, der von sich behaupten kann, dass Deutschland für einen Anfang immer gut ist. Vor 50 Jahren bestieg eine wenig bekannte Band namens Silver Beetles ein Schiff in Liverpool Richtung Hamburg. Sie trat im inzwischen legendären Indra Club und an der Großen Freiheit auf. Sie änderte ihren Namen in Beatles , kopierte Stilelemente der Zeit, wie den Bertolt- Brecht-Haarschnitt und schwarze Rollkragenpullover. Die Band, die nach Liverpool zurückkehrte, war eine gestylte, und der Rest ist Geschichte. Dass es die Beatles ohne Hamburg womöglich nicht gegeben hätte, haben die Bandmitglieder später oft betont. Als John Lennon einmal gefragt wurde, wie es war, in Liverpool aufzuwachsen, antwortete er, in Liverpool seien sie Kinder gewesen, in Hamburg erwachsen geworden. Ein guter Start, so viel ist sicher.

Seitdem haben viele Künstler einen Neubeginn in Deutschland, insbesondere in Berlin, versucht - unter ihnen Pop Stars wie die Band Travis, Joe Jackson und natürlich Sir Simon Rattle. Gleich zu Beginn seines Engagements bei den Berliner Philharmonikern stellte er fest, wie viel besser es Musikern in Deutschland geht, weil Politiker hierzulande bereit sind, viel mehr Geld für Kunst auszugeben als ihre Kollegen in Großbritannien.

Zweifel an den segensreichen Starts in Deutschland sind mir allerdings vergangene Woche gekommen, als die Saga des Koranverbrenners aus Florida publik wurde und plötzlich eine Geschichte vom anderen Ende der Welt direkt vor meiner Haustüre spielte. Terry Jones, so stellte sich heraus, hatte seine Karriere als "religiöser Führer" in Köln begonnen. Er nutzte die Zeit in Deutschland, um seine kruden Ideen weiterzuverfolgen, bevor er wegen seines umstrittenen Führungsstils abgewählt wurde; die Kölner Gemeinde sah er als Sprungbrett für größere Vorhaben, als Basislager für einen Kreuzzug durch Europa. Immerhin gelang es ihm, die gesamte Welt für kurze Zeit als Geisel zu nehmen. Unweigerlich erinnerte er mich an die Terroristen des 11. September, die ihre mörderischen Pläne teilweise in einem Vorort von Hamburg ausgeheckt hatten. Es gibt wohl doch zwei Sichtweisen auf Franzens Beobachtung, dass Deutschland für einen Anfang immer gut ist.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 18./19.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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