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Es gibt viele Gründe, sich für Deutschland zu begeistern: Kastanienlaub, Spätzle und ein Kulturriese.

Alessandro Melazzini

Goethe war nicht schuld, sondern München: Die Gelassenheit am Isarufer, die die brodelnde Kreativität des Schlachthofviertels, die urigen Kleinode wie die Fraunhofer Schoppenstube. Inzwischen darf man sich ja wieder öffentlich zu München bekennen, nachdem der Hype um Berlin abgeflaut ist. Insgeheim aber liebe ich diese Stadt seit dem ersten Mal, als ich mit Null Sprachkenntnissen über den Viktualienmarkt bummelte.

Liebenswert: Die deutsche Küche, in diesem Fall speziell die schwäbische. (Foto: Foto: ddp)

Ihretwegen entschloss ich mich, Deutsch zu lernen, was wiederum meinen Vater erfreute, der seit Jahren penetrant insistierte, dass ich Helmut Kohls Sprache kennen müsse, weil Deutschland die Lokomotive Europas sei und alle seine Menschen pünktlich, zuverlässig und effizient seien. Derart erblich vorbelastet entdeckte ich, dass die Bundesrepublik viel freundlicher und mitreißender ist, als ich jemals geahnt hatte. Grazie, Papa. Schon bei der zweiten Maß im milden Sonnenlicht unter Kastanienlaub entschloss mich, mir endlich die Sprache Immanuel Kants und Verona Pooths anzueignen.

Nur mit München-Bashing

"Denke ich also an Deutschland" lautete nach Heine der Titel einer Konferenz vor kurzem in Berlin. Ich jedenfalls denke nicht an Goethe, auch nicht an Beethoven und nicht einmal an Thomas Mann, der bekanntermaßen seine Schwierigkeiten mit der nördlichsten Stadt Italien hatte, sondern an die Weißwurst und das bayerische Bier. Und zwar unter einem knallblauen Himmel, versteht sich. Ich sage das noch immer nicht laut, denn ein Geistesmensch kann sich hierzulande ohne München-Bashing kaum profilieren.

In München steht außerdem die Einrichtung, der ich es verdanke, dass ich fast die Hälfte des Tschurangratis von Gerhard Polt & Biermösl Blosn verstehe: das Goethe Institut. Der Kulturriese weckt bei vielen Menschen auf der Welt, so auch bei mir, das Interesse für die komplexe Kultur dieses mysteriösen Staats inmitten Europas. Schön, dass das "GI" nach einem Sparkurs wieder einigermaßen fit ist und trotz heftigem Flirt mit dem asiatischen Kontinent die sieben italienischen Standorte erhalten will.

Der Vollständigkeit halber sollen andere Institutionen der Kulturpolitik erwähnt werden, etwa der Deutsche Akademische Austauschdienst oder die Studienstiftung des deutschen Volkes.

Egal wie laut gemault wird, kein anderes Land vergibt so viele Kulturpreise, mit denen sich Künstler am Leben halten. Noch ein Grund, außer Spätzle und Spreewald, sich für Deutschland zu begeistern? Gewiss, es sei denn, man stellt sich die Frage, ob - gemessen an einer solchen Dichte von Förderungen und Preisen und Stipendien - der Geistesmensch hierzulande womöglich dazu tendiert, lieber wohlgenährter Preisträger statt unbequemer Querdenker zu sein.

An dieser Stelle schreiben jeden Samstag Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tagezeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 28.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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