Mein Deutschland:Mit Inbrunst

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Warum die Deutschen Obama wie einen Superstar empfangen - und weshalb ein Naturgesetz dagegen spricht, dass die Franzosen es ihnen gleichtun.

Pascale Hugues

In diesen schweren Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen brauchen die Deutschen, vielleicht mehr als andere, stabile Koordinatensysteme. Ein Symptom für dieses Bedürfnis ist der etwas übertriebene Kult um Helmut Schmidt - der Altbundeskanzler scheint Antworten auf alle unlösbare Fragen zu haben, die Deutschland, ja den ganzen Planeten beschäftigen.

Pascale Hugues ist Deutschland-Korrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins Le Point (Foto: Foto: Nelly Rau-Häring)

Genau andersherum ist es mit Adolf Merckle: Dass ein Mann, Inbegriff des zupackenden Unternehmers und des gesunden Menschenverstandes, sein Imperium verzockte, hat die Menschen schockiert. Die heftigen Reaktionen der Medien, die Merckle als Jongleur, als Hasardeur bezeichneten, sind ein Maß für die Enttäuschung der Deutschen, wenn eines ihrer Vorbilder scheitert.

Vor allem aber ist es Barack Obama, der die Sehnsucht nach einem aufrechten Menschen verkörpert, nach einem Held, der die Krise besiegen könnte. Man erinnert sich an den Tiergarten, der schwarz vor Menschen war, als Obama im Sommer Berlin besuchte, als er nicht mehr als ein Kandidat fürs Weiße Haus war. Die Berliner haben ihn empfangen wie einen Superstar, nein wie einen Messias. "Ich habe seine Schulter berührt", rief damals eine junge Frau wie in Trance aus. Eine fast mystische Erfahrung. Und jetzt die Inbrunst, mit der die Deutschen an der Amtseinführung Obamas teilgenommen haben. Sie sucht ihresgleichen in Europa.

Proteste als Naturgesetz

Franzosen reiben sich die Augen, diese Schwärmerei wäre in ihrem Land nicht möglich. Zunächst natürlich, weil Frankreich seit De Gaulle Abstand zum amerikanischen Onkel hält, das Verhältnis ist weniger gefühlvoll. Die Deutschen dagegen haben nicht vergessen, was sie Washington schulden - für die Demokratie, für den Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg, für die freie Stadt Berlin. Auf die Straße geht man in Frankreich durchaus, doch nicht für, sondern gegen jemanden. Zehntausende Franzosen haben gegen George W. Bush demonstriert, als in den Irak-Krieg gezogen ist. Und jede Reform, die eine Regierung egal welcher Couleur wagt, wird von Protesten eingeleitet - das ist ein Naturgesetz. Wenn in den Straßen von Paris jemand gefeiert wird, kann es sich nur um einen Popstar handeln.

Auf die Gefahr hin, zu psychologisieren und alte Klischees zu bedienen: Die Deutschen sind ein sorgenvolles Volk. Sie sind die Könige der Sparbücher, die Europäer mit den meisten Versicherungspolicen, die Meister der Angst - übrigens eines der wenigen Begriffe, die es in die französischen Wörterbücher geschafft haben. Wenn also der Boden unter den Füßen schwankt, tut ein junger, schwarzer, sympathischer und charismatischer Präsident gut. Und man will so gerne glauben, dass dieser Mann auf alles eine Antwort hat.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues ist Deutschland-Korrespondentin des französischen Nachrichtenmagazins Le Point und Kolumnistin für die Tageszeitung Liberation. Die gebürtige Straßburgerin wurde mehrfach mit dem deutsch-französischen Journalistenpreis ausgezeichnet. Von ihr erschien kürzlich das Buch "Marthe und Mathilde" (Rowohlt Verlag Berlin), in dem sie über das Schicksal ihrer deutschen und französischen Großmutter schreibt. Sie lebt mit ihrem (deutschen) Mann und zwei Kindern in Berlin.

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