Mein Deutschland:Mit der Welt in Kontakt bleiben

Lesezeit: 2 min

Früher Finanzkrisen - jetzt Windelwechseln.

Kate Connolly

Vor kurzem habe ich meine Welt gegen etwas eingetauscht, was sich wie ein völlig neues Leben anfühlt. Ich messe meine Tage nicht mehr in den Einheiten Zeile, Pressekonferenz und Redaktionsschluss, sondern in Windelwechseln, Füttern und die Zahl der Schlafminuten, die ich mir dazwischen leisten kann. In vielerlei Hinsicht ist das Leben mit einem Neugeborenen ja viel einfacher. So muss ich beispielsweise nicht mehr eine große Bandbreite von Themen in meinem Kopf jonglieren, und ich muss auch nicht den Kachelmann-Prozess beobachten oder wissen, welches europäische Land kurz vor dem Bankrott steht. Selbstverständlich tue ich das doch, weil mir das Nachrichten-Geschäft im Blut liegt, und es mir hilft, mit der Welt in Kontakt zu bleiben - doch derzeit kommt es mir zum ersten Mal seit Jahren nicht zu nahe.

Mutterglück: Vor dem farbenprächtigen Abendhimmel über einem Feld hebt eine Mutter ihr Baby in die Luft. (Foto: dpa)

Mein tägliches Vokabular - Finanzkrise, Stuttgart 21, Euro-Rettungsschirm oder Googleberg - wurde ersetzt durch Bäuerchen, Windelwechseln, Schnuller und Rückbildung. Seitdem ich begann, mich hier in Deutschland auf die Geburt vorzubereiten, wurde mein deutsches Baby-Vokabular schnell besser als mein englisches, so dass mir das Wort "Wehen" viel leichter über die Lippen kommt als "Contraction", und "Beckenboden" mir viel präsenter ist als das Englische "pelvic floor". Das hat es mir manchmal nicht leicht gemacht, mit britischen Freunden über das Muttersein zu reden.

Meine neue Welt ist kleiner geworden. Anstatt mit meiner Auslandsredaktion über Themen zu reden wie Deutschland als Exportweltmeister oder die Nuklearpolitik der CDU, oder mal kurz ins Flugzeug zu steigen, um über ein Unglück oder den Amoklauf eines Schülers zu berichten, sind meine Themen eher bestimmt von meiner Mutter-Kind-Gruppe, die da lauten: Darf ich Spargel essen, während ich stille? Unterhaltungen mit meiner Kollegin in Paris, die selbst erst vor kurzem Mutter geworden ist, haben nicht mehr die Beziehung zwischen Merkel und Sarkozy zum Thema, sondern beschränken sich darauf, welche Brustpumpe die beste für Dienstreisen ist. Die Kritik oder sauren Kommentare, die ich früher von meinen Lesern bekommen habe, wurden ersetzt durch die gut gemeinten Ratschläge älterer Damen, die in Cafés auf mich zukommen und fragen: Ein Tragetuch? Zu meiner Zeit benutzten wir einen Kinderwagen. Oder: Sollte Ihr Baby nicht einen Hut tragen?

Zu meiner freudigen Überraschung hat mein Baby also dazu beigetragen, dass viele Leute weitaus offener auf mich zugehen als früher. Das Gesicht meines Nachbarn, der mir immer so melancholisch erschien, hellt sich immer auf, wenn er meine Tochter sieht, und der Sicherheitscheck am Flughafen ist so angenehm wie nie, denn das Sicherheitspersonal schmilzt vor dem Baby geradezu dahin und winkt uns durch die Kontrollen. Wie auch immer, Spargel habe ich nicht aufgegeben, trotz aller Warnungen, dass er meiner Milch einen metallischen Geschmack geben könnte, was mein Baby vom Trinken abhalten würde. Denn es hat sich davon nicht abschrecken lassen, was hoffentlich bedeutet, dass es sich an die deutsche Küche bereits gewöhnt hat. Vielleicht heißt das, dass ich bald wieder zurück an meine Arbeit kann.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 28/29.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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