Mein Deutschland:Im Schatten des Cavaliere

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Männer halten Poster des ehemalige italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi während einer Protestaktion vor dem Kassationsgericht in Rom am 1. August 2013 hoch. Das Gericht bestätigte eine Gefängnisstrafe gegen Berlusconi wegen Steuerhinterziehung.   (Foto: Reuters)

Durch die Verurteilung von Silvio Berlusconi rückt sogar die gefährliche Wirtschaftskrise in den Hintergrund.

Eine Kolumne von Giovanni Maria Del Re

Nun es ist so weit. Der Mann, der die italienische Politik fast 20 Jahre lang beherrscht hat, wurde rechtskräftig und endgültig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das historische Urteil wurde von ganz Italien mit großer Spannung erwartet - sogar meine 84-jährige Mutter hat den ganzen Nachmittag vor dem Fernseher verbracht, nur um sofort erfahren zu können, was das Oberste Gericht in Rom über Silvio Berlusconi entscheiden würde.

Wieder einmal dreht sich alles in Italien um den Cavaliere, sogar die gefährliche Wirtschaftskrise wird in den Schatten gestellt. Und wieder stellt sich die Frage: Was geschieht mit der Regierung von Enrico Letta, die ausgerechnet von diesem nun rechtskräftig verurteilten Politiker abhängt? Meine deutschen Freunde fragen mich: Wie kann das sein? Ist Berlusconi nicht seit Jahren in Prozesse verwickelt? Wie ist es möglich, dass er nicht schon vor Jahren gezwungen wurde, sich von der Politik zu verabschieden? Wieso durfte er stattdessen die Geschicke Italiens weiter entscheidend beeinflussen?

Es ist gar nicht leicht, solche Fragen zu beantworten. Vor allem wenn man bedenkt, dass in Deutschland Minister zurücktreten, "nur" weil sie zum Beispiel eine Doktorarbeit zum Teil gefälscht haben. Noch schwerer ist für mich zu erklären, wie es sein kann, dass in Italien viele nicht über den verurteilten Mächtigen empört sind, sondern über die bösen Richter, die das Opfer Berlusconi aus politischen Gründen verurteilt hätten. Eine Mär, die der Cavaliere jahrelang erfolgreich verkaufen konnte, um wieder und wieder trotz Prozessen und schweren Beschuldigungen gewählt zu werden.

In Deutschland und den meisten westlichen Ländern wäre das undenkbar. Man nennt das kulturelle Unterschiede, die jedoch vielleicht mit ein Grund sind, weshalb Deutschland heute so viel besser dasteht, als das dahinsiechende Italien. Eines steht jedenfalls fest: Das Urteil stellt eine richtige Zäsur in der jüngsten Geschichte Italiens dar. Wenn es das Land jetzt schaffen wird, das Kapitel Berlusconi endlich abzuschließen, und die Regierung Letta trotzdem weiter arbeiten kann, dann könnte das die lang erwartete, entscheidende Wende sein.

Giovanni Maria Del Re arbeitet für die italienische Tageszeitung Avvenire .

© SZ vom 03./04.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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