Mein Deutschland:Hier liegt der Schlüssel

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Religion und Demokratie in Einklang bringen.

Celal Özcan

Das Image eines Landes kann sich in der medial vermittelten Welt von heute schnell ändern. Aktuelles Beispiel sind die Türkei und Griechenland. Während sich Griechenland im Zuge seiner Finanzkrise vom romantisch verklärten Arkadien zum Sorgenkind Europas wandelte, erntet die einst getadelte Türkei immer mehr Lob, ja Bewunderung.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan grüßt seine Anhänger von der AKP am 5. Juni 2011 in Istanbul. Die islamisch-konservative Partei AKP von Ministerpräsident Erdogan ist einer Prognose zufolge deutlicher Sieger der Parlamentswahl in der Türkei. Die AKP komme in ersten Auszählung auf 55,6 Prozent der Stimmen, berichtete der Nachrichtensender CNN Türk am 12. Juni 2011 nach Schließung der Wahllokale auf Grundlage inoffizieller Berechnungen. Vor vier Jahren hatte die AKP knapp 47 Prozent der Stimmen bekommen. (Foto: dpa)

Fast alle Kommentatoren in Deutschland gratulierten den Türken zu ihrem Wahlverhalten am Sonntag: Die Türken hätten zwar die islamisch-konservative AKP gewählt, aber nicht aus religiösen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen - unter der AKP-Regierung erlebt das Land schließlich ein Wirtschaftswunder. Die einzig skeptische Stimme kam von der christlich-konservativen CSU: Mit dem Wahlsieg Erdogans wende sich die Türkei einem islamisch-konservativen Nationalismus zu und entwickle eine wachsende Distanz zu Europa.

Einige Zeit vor den Wahlen traf ich mich in Istanbul mit griechischen Freunden aus Athen. Im Kneipenviertel Beyoglu erlebten sie als starke Raucher ihre erste Enttäuschung. Denn in Bars und Restaurants gilt striktes Rauchverbot. Am zweiten Tag, als ihr Mietwagen, der im Parkverbot stand, abgeschleppt wurde, fragten sie: "Wer um Himmels willen ist denn nun in der EU, die Türkei oder Griechenland?" In Athen, sagten sie, würden keine Autos abgeschleppt, und das Rauchverbot gelte nur auf dem Papier.

Natürlich ist Istanbul nicht die Türkei, aber hier zeigt sich, was die AKP schon zum dritten Mal zur Wahlsiegerin machte: das Bemühen um eine Modernisierung des Landes. Fast jeder zweite Wähler gab seine Stimme nicht der sozialdemokratischen CHP, die den Studenten die Abschaffung der Studiengebühren versprach, sondern der AKP, die jedem Studenten ein E-Book zusicherte. Nicht das Versprechen der CHP, für Geringverdiener eine Familienversicherung auf Kosten des Staates einzurichten, lockte die Wähler, sondern Erdogans Aussage, er habe die Staatskasse gefüllt, die CHP wolle sie wieder leeren.

Aber so wenig wie die deutschen Wähler der christlich-konservativen Union als Befürworter einer Christianisierung der Gesellschaft verstanden werden dürfen, so wenig darf man die türkischen Stimmen für die AKP als Hinwendung zum Islam interpretieren. Mit der Gründung der Republik haben die Türken das Bewusstsein erlangt, Staatsbürger zu sein und nicht Untertanen, und sie blicken nicht nach Osten, sondern nach Westen.

Erdogans AKP hat jetzt eine historische Chance, und die Aufgabe, Religion und Demokratie in Einklang zu bringen, ohne den Laizismus zu gefährden. Sie muss im Westen das Vertrauen gewinnen, dass auch eine islamisch-konservative Partei für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht. Auch die christlich-konservative Union (die CDU/CSU) könnte dazu einen Beitrag leisten und den Antrag der AKP annehmen, als assoziiertes Mitglied in den Club der europäischen Volksparteien aufgenommen zu werden, ein Antrag, den die CSU 2007 unter Stoiber abgelehnt hatte. Der Westen muss der Möglichkeit entgegensehen, es in Zukunft überall in der islamischen Welt mit islamisch-konservativen Parteien wie der AKP zu tun zu haben. Nach dem arabischen Frühling blicken selbst so radikalislamische Organisationen wie die Muslimbrüder auf die AKP als Vorbild. Hier liegt der Schlüssel, den radikalen Islam zu zivilisieren und die Gefahr eines "Kampfes der Kulturen" zu bannen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 18./19.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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