Mein Deutschland:Glaubwürdig für die Gerechtigkeit?

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Ai Weiwei hat für die Entrechteten in China gekämpft und tut es immer noch.

Shi Ming

Jüngst erschien auf einer deutschen Website ein Beitrag des Autors Christian Y. Schmidt, der in Shanghai lebt. Schmidt machte es sich zur Aufgabe, Berichterstatter in deutschen Landen zurechtzuweisen. Thema: Ai Weiwei. Deutsche Medien, so Schmidt, hätten den von Staats wegen verschleppten Künstler als "selbstlosen" Idealisten überhöht. Dabei habe Ai Weiwei jahrelang mit dem autoritären Staat China kooperiert. Danach folgt eine beeindruckende Beweisführung mit dem Tenor, Ais Verhalten sei ruchlos, was allerdings nicht entschuldige, dass der Staat ihn verschleppt habe.

Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei liest seine E-Mails und Briefe in seinem Büro in Beijing. Er hat am 15. November 2011 beim Pekinger Steueramt 8,45 Millionen Yuan, das sind umgerechnet fast eine Million Euro, als Garantiesumme hinterlegt. Die Kaution ist eine Voraussetzung für die Anfechtung der Strafzahlung, zu der Ai Weiwei im vergangenen Sommer nach 81tägiger Haft verurteilt worden war. Insgesamt soll er den Behörden 15 Millionen Yuan, umgerechnet 1,7 Millionen Euro, schulden. (Foto: REUTERS)

Schmidt, ehemaliger Redakteur des Satiremagazins Titanic, fragt in seinem Essay überdies, ob Ai in China denn überhaupt so bekannt sei, wie den Menschen im Westen weisgemacht werde. Dabei beruft er sich auf einen einzigen chinesischen Kunstkritiker. Darf es bei der Diskussion um die Verfolgung Ais durch staatliche Organe aber überhaupt darauf ankommen, ob und wie bekannt der Künstler eigentlich ist? Einmal abgesehen von dieser Frage: Hätte sich Schmidt die Mühe gemacht, hätte er herausbekommen, dass allein Ais persönlicher Blog im Internet - trotz Zensur - bis zu zehn Millionen Klicks pro Woche bekam. Das muss ein westliches Massenmedium mit allen modernen Werbemitteln und ohne jede Zensur erst einmal schaffen.

Immerhin vergisst der Kritiker nicht, China einen Unrechtsstaat zu nennen: Dieser dürfe Ai "trotzdem" nicht verschleppen. Trotz was? Trotz Ais Zusammenarbeit mit dem Unrechtsstaat? Trotz der Ai angelasteten Steuerflucht? Ai wurde in Mafia-Manier vom Staat verschleppt und gefangen gehalten. Seine Verteidiger durften bis dato keine Einsicht in die angeblichen Belege der Ermittler nehmen. Nicht einmal der Verdacht auf Steuerhinterziehung ist also nach rechtsstaatlichen Maßstäben begründet. Trotzdem bleibt Schmidt bei seinem Vorwurf, China möge ja ein Unrechtsstaat sein, aber Ai Weiwei sei so unschuldig auch wieder nicht.

Ai Weiwei hat für Entrechtete in China, etwa für Familien, die ihre Kinder beim Erdbeben 2008 in Sichuan verloren haben, gekämpft und tut dies immer noch. Doch dieser Kampf erscheint Schmidt offenbar als nicht legitim genug, um ihn zu schützen, schon gar nicht, um sich mit Ai zu solidarisieren - in Form einer Spende etwa, wie dies bereits mehr als 30 000 chinesische Bürger getan haben. Mit der Beweisführung für Ais Mitschuld verlangt Schmidt nichts anderes als: Glaubwürdig für die Gerechtigkeit könne nur eintreten, wem kein Makel anhafte, als schrie ein getarnter Jesus auf - wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.

Damit steht Schmidt nicht allein. Gerade jene, die entweder in China leben oder als Sinologen arbeiten, neigen oft dazu, deutsche Berichterstatter unterschwellig zu maßregeln, diese wüssten nicht Bescheid. Zum Beispiel fragte kurz nach Ai Weiweis Verschleppung im Frühjahr der Sinologe Wolfgang Kubin, ob Ai nicht doch Steuern hinterzogen habe? Aber natürlich dürfe der chinesische Staat ihn trotz alldem nicht verschleppen... Mir kommt das so vor, als würde hier auf einem Opfer herumgetrampelt, das unter dem Unrechtsstaat immer noch leidet. Ai kann seine Unschuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren ja nicht beweisen. Bei einem geheimen Verfahren kann niemand wissen, wie es mit der Wahrheit bestellt ist - auch Schmidt und Kubin nicht. Solche Kritik ist scheinheilig. Ihre Ruchlosigkeit überführt sich selbst.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Shi Ming arbeitet als freier Journalist und Publizist. Er lebt in Freiburg.

© SZ vom 19./20.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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