Mein Deutschland:Frische Luft

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Steinbrück erinnert ein wenig an Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac.

Pascale Hugues

Das Foto zeigt den ehemaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac in seinem Auto in Paris. Vom 17. Mai 1995 bis 16. Mai 2007 war er Staatspräsident Frankreichs. Im Jahr 2011 wurde er wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel und illegaler Parteienfinanzierung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. (Foto: AFP)

In Frankreich hat niemand dieses europäische Ratstreffen in Brüssel vergessen. Das war 2007. Präsident Nicolas Sarkozy, gerade gewählt, schwadronierte gegen die Europäische Zentralbank, weil diese ihre Zinsen nicht senken wollte. Darauf ein Wutausbruch des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück: Die EZB ist unabhängig! Sarkozy, ebenso außer sich: "Für wen hält sich der, dass er in einem solchen Ton mit mir spricht?!"

Das kann man nicht gerade eine gelungene Premiere auf dem deutsch-französischen Parkett nennen. Aber Steinbrück kann versichert sein: Es ist in der Politik ein großer Vorteil, wenn man mehr Sarkasmus als Diplomatie besitzt. Steinbrück erinnert mich an Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac. Auch er war ein Choleriker, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ein Spezialist derber Sprüche und energischer Retourkutschen. Seine Zornesausbrüche sind Teil jener Geschichten zum Totlachen, die sich Franzosen nach beim Verdauungsschnaps erzählen. Nur dass Chirac statt militärischer Metaphern ("die Kavallerie in die Schweiz schicken!") die sexuelle Bilderwelt bevorzugte. Man ist ja nicht umsonst Franzose und Schürzenjäger!

1988, anlässlich der zähen Verhandlungen zur gemeinsamen Agrarpolitik, genervt von den Forderungen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, verlor Chirac die Nerven: "Was verlangt diese Furie von mir? Meine Eier auf einem Silbertablett?" Verlegenes Lächeln in der französischen Delegation. Die Eiserne Lady bat ihren Übersetzer, ihr doch den Satz des Präsidenten zu übersetzen, und sie war not amused . Am nächsten Morgen titelte das britische Boulevard-Blatt Sun über die "ordinären" Worte des Präsidenten. Und die französische Presse kommentierte: Chirac, wie er leibt und lebt.

Ich bin mir allerdings sicher, eigentlich waren alle entzückt, dass Chirac sich getraut hatte, das laut zu sagen, was alle schon lange dachten. Neben Chirac mutet Peer Steinbrück an wie ein Chorknabe. Interessant ist, dass nur wenige Monate nachdem der alte Chirac den Élysée-Palast verließ, ganz Frankreich seine so wunderbar französische Art vermisste. Seine Popularität stieg sogar noch. Denn in dieser verkrampften politischen Klasse, die jedes Wort abwägt und lange redet, ohne irgendetwas zu sagen, ist die Offenheit, selbst wenn sie ein wenig brutal daherkommt, wie eine steife Brise voll frischer Luft. Na dann, Herr Steinbrück, nur zu!

Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point. Sie lebt in Berlin.

© SZ vom 06./07.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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