Mein Deutschland:Es liegt an den Italienern

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Dass in Italien Rassismus die Oberhand gewinnt, ist weit von der Realität entfernt.

Alessandro Melazzini

Immer wenn ich in Rom bin, laufe ich voller Misstrauen durch die Straßen. Als Wahldeutscher bin über die Schmierereien an jeder Wand erbost; ich ärgere mich über die Unpünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel; ich fürchte, dass der Taxifahrer den längsten Weg nimmt.

Ein stolzer Fan, der sich gern mit den Farben seines Landes bemalt. (Foto: dpa)

Nur für kurze Zeit lasse ich mich ablenken - von der Faszination, die die Ewige Stadt selbst bei dem trüben Wetter dieses kalten Wonnemonats ausübt, von dem atemberaubenden Blick auf den Pincio, der nur mäßig von den schreienden Bambini gestört wird. Dann aber denke ich an die Nachrichten, die seit Jahren über mein Geburtsland sowohl in der italienischen als auch in der deutschen Presse kursieren. Sie erinnern mich daran, dass ich mich in einem unbegreiflichen Land befinde, einem Land am Rande des Kollapses, dessen Menschen fremdenfeindlich sind und immer öfter Molotowcocktails auf Roma und Sinti werfen.

"Ich weiß oft nicht, was ich sagen soll, wenn ich meinen Freunden in Paris von Italien erzähle", gesteht Aline, eine französische Cutterin, die sich im Einwandererviertel Tor Pignattara niedergelassen hat. Es sei schwer, angesichts der Äußerungen mancher Politiker anderen klarzumachen, dass Italien nicht so tief in die Barbarei gesunken sei, wie man es sich gemeinhin vorstelle. "Natürlich läuft hier nicht alles reibungslos, und manchmal scheint sich die italienische Politik um das Problem der Einwanderung nur mittels Schlagwörter zu kümmern, dass aber in Italien Rassismus die Oberhand gewonnen habe, ist weit von der Realität entfernt."

Ich muss Aline recht geben. Als ich mit ihr durch die Straßen von Tor Pignattara schlendere, treffe ich auf italienische, chinesische, bengalische, arabische und etliche weitere Nationalitäten. Viele Menschen wirken zwar arm, doch keineswegs ist die Luft gewaltbeladen. "Ich komme aus der Pariser Banlieue, dort habe ich erfahren, was wirklicher Hass ist", sagt Aline. Trotz mancher Gewaltausbrüche, die es ab und zu leider gibt, herrschten in Rom und auch in ganz Italien keine französischen Verhältnisse.

Woran das liegt? "An den Italienern" antwortet Aline entschlossen. "Wegen ihres guten Herzens . . . oder vielleicht auch wegen ihres Zynismus." Weil man für echten Rassismus Überzeugung braucht. Die aber gibt es - trotz der Beliebtheit, der sich die Lega Nord seit Jahren erfreut - hierzulande nicht. Italiener sind dafür zu sehr Skeptiker. Sie wollen nämlich nur eines: Selbst wenn ihre Politiker sich so wild gebärden, dass die Welt staunend zuschaut, wünschen sie sich, in Frieden gelassen zu werden, damit sie ihre eigenen Angelegenheiten ungestört weiterbetreiben können.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 22./23./24.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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