Mein Deutschland:Entweder lieben oder hassen

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Ein Würzmittel hat Geburtstag.

Kate Connolly

Da wird eine klebrige braune Flüssigkeit 125 Jahre alt - und ein Land kriegt sich aus diesem Anlass gar nicht mehr ein. Ich habe erst verstanden, welch hohen Status die Maggi-Flüssigwürze sich in der deutschen Küche verdient hat, als ich hörte, dass die Kronberger Burg im Taunus in eine riesige Maggi-Flasche verwandelt wird, um den Geburtstag des Würzmittels zu begehen. Für einen Außenseiter, der Maggi über die Jahre einige Male probiert hat und nicht davon verführt wurde, ist es schwer zu ermessen, wie es die deutschen Geschmacksnerven so vollkommen gewinnen konnte.

Das erste Maggi-Kochstudio residiert seit dem 9. Juli 1959  in Frankfurt zwischen Zeil und Römer Gunda-Hedi Pfeifer, die Leiterin des Maggi-Kochstudios schwingt dort seit über 30 Jahren hinterm Herd die Kochlöffel. Die Maggi-Würze wurde am 8. Juni 1886 von Julius Maggi erfunden. Die typisch eckige Flasche wurde um 1909 von Julius de Praetere entworfen und ist bis heute nur geringfügig verändert worden. (Foto: ddp)

Um fair zu sein: Die Briten reagieren auf die gleiche Weise wie die Deutschen auf eine britische braune Substanz, die ähnlich salzig ist wie Maggi und deren Verfechter behaupten, sie gehöre genauso ins tägliche Leben der Nation wie Cricket oder der Nachmittagstee: Marmite - ein Hefeextrakt, der als Nebenprodukt beim Bierbrauen entsteht - war wie Maggi zunächst gedacht als ein Lebensmittel zur Verbesserung der Nährstoffzufuhr bei Arbeiterfamilien. Doch im Gegensatz zu Maggi, das zum Essen gereicht wird, wird Marmite normalerweise auf den Buttertoast geschmiert. Weil wir es schon in der frühen Kindheit bekommen, ruft es bei seinen Anhängern - zu denen ich auch gehöre - eine starke emotionale Reaktion hervor.

Seit ich Auslandskorrespondentin bin, habe ich mir bei Reisen nach Hause immer sorgfältig meinen Koffer mit Produkten gefüllt, ohne die ich nicht auskomme. Von den meisten dieser "Drogen" habe ich mich entwöhnt, doch nicht von Marmite. Das bleibt ganz oben auf der Liste der Dinge, nach denen ich verlange. Als ich ein Gerücht hörte, dass die Hersteller planten, das Design des schon zum Klassiker gewordenen braunen Glases zu ändern, schrieb ich einen Blog zu Marmite. Von den Kommentaren, die ich aus Städten wie Atlanta und Hanoi bekam, wurde mir klar, wie weit es verbreitet ist.

Abenteuerlustige deutsche Freunde sind erpicht darauf, es zu probieren, wenn sie zum Tee vorbeikommen. Doch selbst wenn sie meine Warnung beachten und es ganz dünn auftragen - es ist ja keine Schokolade, selbst wenn es so aussieht - verziehen sie nachher vor Ekel ihr Gesicht. Marmites Geschmack ist wie der von Maggi: so stark, einzigartig und unsubtil, da kann man nicht vorgeben, es zu mögen. Nicht umsonst heißt der Slogan: Entweder sie lieben es oder sie hassen es.

Einige meiner deutschen Freunde haben trotzdem eine Liebe zu dem Zeug entwickelt, und das hat ein sonderbares Band zwischen uns geschaffen: Ich bin dankbar, dass sie etwas von der eigenartigen britischen Küche schätzen, die sonst nicht so bekannt ist für ihre Raffiniertheit. Außerdem bin ich sehr froh zu wissen, dass sie Marmite im Schrank haben, wenn ich zufällig vorbeikomme. Und sie scheinen zu mögen, dass sie nun so etwas wie einem geheimen Club angehören.

Die Ironie des Ganzen ist, dass Marmite tatsächlich eine deutsche Erfindung ist. Es wurde im späten 19. Jahrhundert zufällig von Justus von Liebig entdeckt, der herausfand, dass Brauhefe konzentriert und in Flaschen gefüllt werden kann. Also, Maggi-Fans: Ich kann eure Liebe zu einer schrecklich-riechenden, übersalzenen Tinktur absolut verstehen, obwohl ich mir ganz sicher nicht den Koffer damit füllen werde, wenn ich von Deutschland wegziehe. Und solltet ihr jemals ein Marmite-Brot angeboten bekommen und zu höflich sein, es abzulehnen, denkt daran: Es war ein Deutscher, der es erfand.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 30./31.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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