Mein Deutschland:Eine Menge Missverständnisse

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Syrien braucht eine funktionierende Verwaltung , eine einheitliche Armee und einen Westen, der sich auf Distanz hält.

Aktham Suliman

Es hatte fast Symbolcharakter für Missverständnisse zwischen dem Westen und arabischen Demokraten: Beim Auslandstreffen des "Nationalen Koordinationsrates für die Kräfte der Demokratischen Veränderung in Syrien", des größten Oppositionsbündnis innerhalb des Landes, konnte sich der Vertreter einer deutschen Oppositionspartei kürzlich in Berlin den Aufruf nicht verkneifen, der deutsche Botschafter möge aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen des syrischen Regimes Damaskus verlassen. Nur mit Mühe konnte Samir Aita, syrischer Oppositioneller und Herausgeber der arabischen Auflage von Le Monde diplomatique den Politiker mit dem Hinweis bremsen, wo Menschenrechtsverletzungen stattfänden, sei die Anwesenheit ausländischer Botschafter durchaus sinnvoll - und sei es nur als Augenzeugen. Auch mit der Ausweisung syrischer Botschafter im Westen, einem Öl-Embargo oder militärischen Aktionen können sich viele syrische Oppositionelle nicht anfreunden, steht doch auf ihrer Agenda der Sturz des Regimes in einem Atemzug mit dem Ziel, Schaden vom Volk abzuwenden.

Ein Polizist steht vor einer Flagge mit dem Konterfei des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor der syrischen Botschaft in Beirut. Trotz der Vereinbarung mit der Arabischen Liga, die Militärkampagne gegen die Protestbewegung zu beenden, gingen Truppen von Präsident Baschar al-Assad nach Angaben von Aktivisten auch am Abend des 4. November 2011 wieder gewaltsam gegen Demonstranten vor. (Foto: dpa)

Ein wenig komödiantisch wirkt es schon, wenn ein arabischer Oppositioneller versucht, die erdrückende Umarmung des Westens abzuweisen. Auch die deutsche Regierung wird oft von Umarmungslust erfasst. Sie hat nach der Enthaltung bei der Libyen-Resolution viel innenpolitische Kritik einstecken müssen. Und prompt zeigt sie Härte im Falle Syrien. Die Debatte über Libyen war sehr deutsch-innenpolitisch. Weder in Libyen selbst noch in der arabischen Welt bestanden irgendwelche Illusionen über die eigentliche deutsche Haltung gegenüber Gaddafi. Und nirgends kümmerte sich das Ausland im Ernst um die Frage der Bündnistreue der Deutschen. Doch was bei Libyen als verpasst gilt, sollte nun bei Syrien nachgeholt werden.

Es stört dabei offenbar wenig, dass von der einen oder anderen Oppositionsgruppe, die man hier empfing, niemand in Syrien selbst je gehört hat. Auch nicht, dass die Forderung manch syrischer Gruppen nach militärischer Einmischung nicht nur nicht erfüllbar ist, sondern auch im Widerspruch zur Vorstellung der Mehrheit der Inlands-Opposition steht, welche die Hauptlast der Repressalien trägt. Doch Berlin hat ein Herz und eine Umarmung für fast alle.

Ähnliches gilt für deutsche Medien. Ein TV-Magazin will herausgefunden haben, dass die Bundesregierung die Diktatur in Syrien unterstützt. Erster Beweis: drei syrische Studenten aus Marburg, die Wirtschaft auf Kosten Berlins studieren und das Regime in Damaskus unterstützen. Zweiter Beweis: Verwaltungsbeamte eines Bundesministeriums, die in Syrien tätig sein sollen. Man gewinnt den Eindruck: Beide Gruppen, Studenten und Beamte, bitte schön nach Hause! Ein anderer Sender hatte einen deutsch-syrischen desertierten Soldaten interviewt. Würde man alles glauben, was er erzählte, bestünde die syrische Armee nur aus ihm. Denn er war im Süden, im Norden, im Osten und im Westen beteiligt an Verhören von Oppositionellen und am Schießen auf Demonstranten.

Nicht durchdachte Umarmungen helfen nie, und schon gar nicht einer syrischen Opposition, die, sollte sie in nächster Zeit an der Macht beteiligt sein, vieles braucht: ausgebildete Studenten, eine funktionierende Verwaltung, eine einheitliche Armee und einen Westen, der sich auf Distanz hält und einen - wenn es sein soll - gefühlvoll umarmt.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Aktham Suliman leitet das deutsche Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Network.

© SZ vom 05./06.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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