Mein Deutschland:Schlaffe Italiener und unentschlossene Deutsche

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Alle vier Jahre einen Monat lang mitzufeiern kann sehr lustig sein - es sei denn, man liebt zwei Länder.

Alessandro Melazzini

Etwas fehlt mir, hier in Italien, wo ich mich gerade befinde. Nein, nicht das Schwarzbrot, auf das Deutsche so stolz sind wie Italiener auf ihre zahllosen Mozzarelle. Mit fehlt die nach den WM-Fußballspielen im Fernsehen bravourös inszenierte Commedia dell'arte mit Günther Netzer und Gerhard Delling, zwei Kumpel, die sich aus gegebenem Anlass siezen und zanken wie ein altes Ehepaar voll frischer Liebe.

Paul, der Oktopus aus dem Sea Life in Oberhausen, ist als Orakel für die Fußballweltmeisterschaft 2010 unterwegs. (Foto: dpa)

Schade, dass ihr Theater dem italienischen Publikum schwer vermittelbar ist, denn Netzers trockene Bissigkeit und Dellings schelmische Naivität sind ein Beweis für den geistreichen und zurückhaltenden Humor der Deutschen. Mich jedenfalls haben die beiden bei der WM 2006 erst so richtig auf den Fußball gebracht.

Als die Welt zu Gast bei Freunden war, war die Begeisterung derart ansteckend, dass ich mir brav alles anhörte, was das Dynamic Duo des deutschen Fernsehens über die Tiefe des Raumes sagte und es am Tag darauf den Freunden gegenüber nachplapperte. So ertappte ich mich dabei, eine gewisse Faszination für den Ball zu spüren.

Warum eigentlich verbringen so viele Menschen so viel Zeit beim Fußball (schauen)? Weil das Spiel das Unwichtigste ist. Viel wichtiger ist das Warten auf den Anpfiff, das Mitfeiern, das Grölen und das Jammern, das Verspotten und das Verspottet werden. Das alles bildet ein Unikum, das die Tage vieler Menschen besser als alles andere füllt.

Alle vier Jahre einen Monat lang mitzufeiern kann also sehr lustig sein - es sei denn, man liebt zwei Länder, die eine komplizierte Beziehung zueinander pflegen, zumal dann, wenn es um Fußball geht. In diesem Fall muss man mit Geduld ausgerüstet sein. Stets zu verlieren, wie es Deutschland passiert, wenn seine Mannschaft gegen Italien spielt, ist bestimmt nicht leicht zu akzeptieren. Aber auch manche netten deutschen Lieder, die auf Youtube kursieren, wie "Nur Italien nicht! (Wer den Cup gewinnt, ist Scheiß egal...)" zu ertragen, und dabei die Contenance zu bewahren, ist eine Herausforderung.

Grund sich zu ärgern, gibt es jedoch kaum. Soweit ich Fußball verstehe, wird es bei dieser Weltmeisterschaft ohnehin keine zusätzliche Reibungsfläche zwischen Italien und Deutschland geben, da die Italiener schon schlaff sind und die Deutschen noch unentschlossen, was ihr Potential in Südafrika angeht. Alles anders als damals, bei jenem wunderbaren deutschen Sommermärchen von vier Jahren, als die Sonne über ganze Europa richtig strahlte, und keine Weltkrise und kein regnerischer Tag unsere Lust am Feiern störten.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 26.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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