Mein Deutschland:Ein Leben in der Zeitschleife

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Ein mit Schnee bedeckter Trabbi steht am 19.03.2013 in Berlin auf einem Parkplatz in der Nähe des Checkpoint Charly. (Foto: dpa)

Berlin kann sich Nostalgie nicht mehr leisten.

Kate Connolly

Ich habe herzerwärmende Erinnerungen an meine erste Zeit in Berlin vor fast zwei Jahrzehnten. An den Kohleofen in meinem Zimmer in Prenzlauer Berg, die Toilette im Treppenhaus, die Blechbadewanne. An die Nachbarn, die einfach hereinkamen, um nach Zucker zu fragen, oder die einen Hammer hatten, wenn man einen brauchte, oder an die alten Damen in Nylonschürzen, die fast immer Zeit hatten für einen Schwatz. Und an den Mann, der von seinem Wohnzimmerfenster aus Getränke verkaufte. Eine andere Welt. Heute ist die Straße gentrifiziert. Keine alten Damen mehr, keiner verkauft etwas aus dem Fenster. Manchmal spreche ich mit Leuten, die ähnliche Geschichten über die damals gerade wiedervereinigte Stadt auf Lager haben. Und wenn ich Braunkohle in der Luft rieche, kommt die Nostalgie.

Ist es eine ähnliche Nostalgie, die die Proteste gegen den Eingriff in die East Side Gallery angeheizt hat? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin traurig, wenn ich höre, dass ein Teil des von Künstlern bemalten Überbleibsels der Mauer zwischen Friedrichshain und Kreuzberg herausgerissen wird, damit Luxuswohnungen gebaut werden können. Aber ich frage mich, welche Motivation hinter diesen Protesten steht. Viele der Demonstranten sind Briten, Amerikaner und andere Ausländer. Viele von ihnen hat die "Ostalgie" nach Berlin gezogen, inspiriert von Filmen wie "Good Bye, Lenin!" und "Das Leben der Anderen". Einige von ihnen fetischisieren die DDR. Aber ist es richtig, Berlin in einer Art Zeitschleife zu halten?

Es ist ein Balanceakt: Soll diese bankrotte Stadt, die nur mit Subventionen der anderen Bundesländer überlebt, sich dem Fortschritt verschreiben oder jedes Stück seiner Geschichte bewahren? Die Berliner Regierung muss Kosten und Nutzen abwägen. Die East Side Gallery ist Berlins zweitberühmteste Touristenattraktion. Andererseits: Als vor zwei Jahren ein großes Stück Mauer herausgenommen wurde, um Platz für die O2-Arena zu schaffen, wurde darum nicht viel Aufhebens gemacht. Berlin kann es sich nicht leisten, rückwärtsgewandt und wie eine Insel zu sein. Es hat auf eine Art Spaß gemacht, ein Jahr lang Braunkohle nach oben zu tragen, um mein Zimmer zu heizen. Aber ich bin echt froh, dass ich das heute nicht mehr machen muss.

Kate Connolly berichtet für den Guardian und den Observer aus Berlin.

© SZ vom 16./17.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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