Mein Deutschland:Ein Gutes hat die Diskussion

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Der Schweizer Volksentscheid zum Minarettverbot könnte zu einem Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Religionsfreiheit werden.

Celal Özcan

Von jenseits der Landesgrenze aus gesehen, hat die direkte Demokratie der Schweizer mit ihren Bürgerversammlungen und Volksabstimmungen durchaus etwas Verlockendes. Wer jedoch näher hinschaut, blickt gelegentlich in einen Abgrund. Bei einer Bürgerversammlung, wo Ausländer sich um einen Schweizer Pass bewarben, erlebte ich zwei Männer aus der Türkei und Sri Lanka. Beide waren in Schweiß gebadet, als sie sich den Eidgenossen vorstellten.

Die Minarette der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Die Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten hat auch in Deutschland eine Grundsatzdebatte ausgelöst. (Foto: Foto: ddp)

Die Tochter des einen, der im Übrigen ein ehrenwerter Mann war, hatte Drogenprobleme, seine Einbürgerung wurde abgelehnt; der andere betrieb ein Bordell und zahlte fleißig seine Steuern - er wurde Schweizer Staatsbürger. Das Ganze erinnerte mich an einen türkischen Basar, wo man die Wassermelonen drückt und klopft, um die beste zu wählen. Man hat es so im Gefühl, im Bauch.

Das diffuse Gefühl der Angst vor einer fremden Kultur dürfte auch viele Schweizer in der Wahlkabine bewogen haben, mit ihrem Kreuz Minarette abzulehnen. Vor dem Urnengang hatten die Verfechter des Minarettverbots ein Gedicht zitiert, das Tayyip Erdogan einmal vorgetragen hatte, als er noch nicht türkischer Premierminister war: "Moscheen sind Bajonette."

Komplizierter als eine Ja-Nein-Frage

Dass Erdogan dafür vier Monate wegen Volksverhetzung im Gefängnis saß, ist kaum bekannt, ebenso wenig, dass besagtes Gedicht sich gar nicht gegen andere Religionen, sondern an die Adresse des Militärs richtet. Übrigens wurde damals die Verurteilung Erdogans in Europa als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit empfunden. Die Realität ist eben meist sehr viel komplizierter als eine Ja-Nein-Frage.

Befürworter des Minarettverbots betonen, dass in vielen islamischen Ländern keine Kirchen gebaut werden dürfen. Das stimmt, und man muss diese Länder dafür kritisieren, auch die Türkei, wo zwar Kirchen gebaut werden können, religiöse Minderheiten es aber trotzdem schwer haben. Doch ist es der richtige Weg, Unfreiheit mit Unfreiheit zu vergelten, wo doch Toleranz als wertvolle Errungenschaften der christlich-abendländischen Kultur gilt?

So gesehen, könnte der Schweizer Volksentscheid zu einem Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Religionsfreiheit werden. Die Gegner der Ahmadiyya-Moschee in Pankow-Heinersdorf bei Berlin spüren bereits Aufwind. Populistische Parteien in Italien, Dänemark und Österreich fordern gleichfalls ein Referendum. Ich mag gar nicht daran denken, wie ein solches Votum in Deutschland oder auch ein Votum gegen Kirchenglocken in der Türkei ausfallen würde.

Mit einem Minarettverbot lassen sich weder der Terrorismus noch die Scharia bekämpfen, es lässt sich weder das Tragen der Burka verhindern noch die Beschneidung der Frau. Die Einzigen, die ihr Ziel erreicht hätten, wären die Islamisten, die den Kampf der Kulturen propagieren. Ein Gutes aber hat die jetzt ausgelöste weltweite Diskussion um Religionsfreiheit: Islamische Länder müssen über ihren Umgang mit Minderheiten nachdenken. Und die in Europa lebenden Muslime müssen sich die Frage stellen, wie sie selbst dazu beitragen können, die Ängste vor dem Islam abzubauen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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