Mein Deutschland:Ein bedauerlicher Rückfall

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Mit Buchstaben eines Scrabble-Spiels ist das Unwort des Jahres 2013 "Sozialtourismus" am 14.01.2014 in Schwerin zusammengesetzt. (Foto: dpa)

Hellhörige Araber bei der deutschen Debatte um Sozialtouristen.

Eine Kolumne von Aktham Suliman

Es ist die Gnade der frühen Geburt. Denn nur dem, der früh genug geboren ist, fällt es auf, dass Deutschland die Debatten um "Ausländer-Maut", "Armutszuwanderung" oder gar um den von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 2013 gekürten "Sozialtourismus" im Grunde schon einmal gehabt hatte. Und zwar kurz nach der Wiedervereinigung Anfang der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Zugegebenermaßen gibt es kleine Unterschiede. So hieß es damals im Zusammenhang mit der Zuwanderungsdebatte: "Das Boot ist voll". Heute ist es die Autobahn. Damals handelte es sich um: "Kanaken". Heute um: "Sozialtouristen". Das Grundprinzip ist aber nach fast einem Vierteljahrhundert das gleiche geblieben. Irgendwoher kommen irgendwelche ausländischen Schwimmer/innen zum deutschen Boot, Autofahrer/innen zur deutschen Autobahn oder Armutszuwanderer/innen und Sozialtouristen/innen zum deutschen Jobcenter.

Gerade Araber sind momentan in Bezug auf alt-neue deutsche Debatten sehr hellhörig. Denn drei Jahre nach dem sogenannten arabischen Frühling steuern so viele arabische Flüchtlinge wie noch nie den europäischen - und vorzugsweise den deutschen - Dauerwinter an, sowohl aus Ländern der relativ friedlicheren Umwälzungen wie Tunesien und Ägypten als auch aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, wo die zweitmeisten Asylsuchenden im ersten Halbjahr 2013 herkamen. Die arabischen Asylbewerber fallen auf den ersten Blick nicht unter den Begriff des "Sozialtourismus", wie ihn manche Medien und Politiker vor allem im Hinblick auf Osteuropäer verwenden. Auf den zweiten Blick, der die Atmosphäre hinter den Begriffen erfasst, wird klar, dass es - sollte nichts dagegen geschehen - nur eine Frage der Zeit ist, bis der Begriff des "Sozialterrorismus" im Zusammenhang mit hilfsbedürftigen arabischen und sonstigen Asylsuchenden zum Einsatz kommt.

Der deutsche Weg zwischen den 90er- Jahren und heute war kein leichter: vom Land der vollen Boote hin zu einem Land, in dessen Fußballnationalmannschaft Spielernamen wie Özil und Khedira anzutreffen sind. Eine Wiederbelebung tot geglaubter Debatten wäre für deutsche Medien, Politik und Gesellschaft ein bedauerlicher Rückfall.

Aktham Suliman ist freier Journalist. Er lebt in Berlin.

© SZ vom 18./19.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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