Mein Deutschland:Die unglaubliche Arroganz der Macht

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Man muss den großen Unterschied zwischen beiden Ländern verstehen.

Pascale Hugues

Seit dem Fall Dominique Strauss-Kahn, der ein merkwürdiges Licht auf mein Land wirft, frage ich mich: Inwieweit verursacht das gesellschaftspolitische System Frankreichs solch einen Skandal? Wie kann diese sehr französische Vision der Macht einen solchen homo politicus hervorbringen, der glaubt, es sei ihm alles erlaubt? Ob DSK in diesem Fall schuldig ist oder nicht, es ist kein Geheimnis, dass er sich wie viele andere französische Politiker schwer tut, seine frenetische Gier auf Frauen zu zügeln.

Dominique Strauss-Kahn, der frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), muss am 6. Juni 2011 vor dem New Yorker Strafgericht  wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens vor Gericht erscheinen. (Foto: dpa)

Ich stand vergangene Woche vor dem Panthéon in Paris, dieser ehemaligen Basilika, ein gigantisches Bauwerk, auf der Kuppel flatterte die Trikolore. Ein nationales Mega-Monument, das der Erinnerung an "unsere großen Männer" gewidmet ist. Um den majestätischen Platz herum: die Gymnasien Louis le Grand und Henri IV, Eliteschulen der Hauptstadt, außerdem die edlen Quartiers Saint Germain des Prés und Luxembourg. Zwei Schritte entfernt befindet sich Sciences Po, zusammen mit der Ena eine der Kaderschmieden meines Landes. Eine geschlossene, homogene Gesellschaft.

In den Pariser Restaurants beobachte ich oft eine Gattung, die in Deutschland praktisch nicht mehr existiert, vielleicht noch in Hamburg, aber sicher nicht mehr in Frankfurt und noch weniger im proletarischen Berlin: der französische Großbürger. Er trägt den Kopf hoch, seine Rhetorik ist unfehlbar, er hat Geld und besitzt seit jeher Privilegien. Das Leben dieser Spezies verläuft wie auf einer Autobahn, die schnurgerade zu den höchsten Sphären der Macht führt. Eine Gewandtheit, die sich über Generationen aufgebaut hat, und die mit der Muttermilch übertragen wird. Man fühlt sich zurückversetzt in die "Menschliche Komödie" von Balzac.

DSK entstammt - wie viele französische Politiker - diesem Mikrokosmos. Und es reicht, das deutsch-französische Duo zu beobachten, um den großen Unterschied zwischen beiden Ländern zu verstehen. Auf der deutschen Seite: Kohl, Merkel, Westerwelle - spießig, bodenständig, volksnah. Auf der französischen: Mitterrand, Chirac, Juppé und DSK. Aus guter Familie stammend, ausgebildet in den Eliteeinrichtungen der Republik, leben sie seit jeher in einer Blase, isoliert von der Wirklichkeit ihres Landes.

Es ist praktisch unmöglich, sich vorzustellen, dass in Frankreich jemand aus dem Proletariat (Schröder) Kanzler werden kann oder der Sohn eines Metzgers (Fischer) Außenminister. Die Brücken nach oben sind selten. Das erklärt zum Teil die unglaubliche Arroganz der Macht in meinem Land. Eine Arroganz, die besonders auffällt, wenn man auf die deutsche Politikerklasse trifft. Nahbarer, lebt und arbeitet sie in Gebäuden mit gedecktem Dekor. Man vergleiche sie mit dem Elysée-Palast, einer privaten Residenz, gebaut im 18. Jahrhundert für den Herzog von Evreux. Wenn man dem Glanz des Dekors noch einige devote Bürger hinzufügen würde, die sich vor dem Präsidenten verbeugen, könnte man sich in der Zeit von Ludwig XIV. wähnen. Man muss sich nicht wundern, dass in einer solchen Umgebung die Politiker, denen niemand je Grenzen gesetzt hat, das Recht der ersten Nacht reklamieren.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 04./05.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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