Mein Deutschland:Die Sehnsucht nach zwei Buchstaben

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In der arabischen Welt könnte theoretisch von jedem an jeden der Titel verliehen werden.

Aktham Suliman

Ja es gibt sie wirklich, allen Zweiflern zum Trotz: Die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Arabern. Zumindest auf der akademischen beziehungsweise möchte-gerne-akademischen Ebene. Ob man Dominic oder Veronica und der Vater Edmund Stoiber heißt, ob adlige Wurzeln im Spiel sind wie bei Karl-Theodor zu Guttenberg, ob man einen FDP-Berater-Job betreibt wie Margarita Mathiopoulos. All das spielt keine Rolle. Wenn es um Plagiatsvorwürfe bei Doktortiteln geht, sind fast alle fast gleich - über die Staatsgrenzen hinweg. Das würde der neulich aufgrund von Plagiatsvorwürfen im Zusammenhang mit seiner vor 20 Jahren (ab)geschriebenen Doktorarbeit zurückgetretene ungarische Staatschef Pal Schmitt bestätigen. Die oben genannten Personen könnten allerdings genauso Ahmad, Fatiam oder Mustafa heißen. Denn auch in der arabischen Welt wird die Seele oft fast erschlagen von der Sehnsucht nach den zwei Buchstaben mit dem Punkt am Ende: "Dr."

Der Doktortitel steht häufig am Ende einer langwierigen Ausbildung über Abitur und Studium. (Foto: dpa)

Es ist schon verwunderlich, wie die Zauberbuchstaben sowohl im hochindustrialisierten Deutschland als auch in eher traditionellen Gesellschaften Gleiches verheißen: Respekt und Anerkennung. Bei der Suche nach einer Wohnung für meine Mutter in einer kleinen syrischen Stadt vor einigen Jahren sprach mich der Makler immer wieder mit Doktor an. Auf Arabisch ist es noch schlimmer, denn der eigene Name verschwindet bei der Anrede im Alltag oft ganz, wenn man Doktor ist. So hörte sich das Gespräch dann wie folgt an: "Wie viele Zimmer, Doktor?" und "aber Doktor! Die Mutter von Doktor muss in einem gehobeneren Viertel wohnen, nicht wahr, Doktor?" oder "wie ist das Leben so in Amerika, Doktor?" Irgendwann platzte mir der Kragen: "Weder bin ich Doktor noch war ich je in Amerika!" Der Makler antwortete verständnisvoll: "Wirklich nicht, Doktor?"

Unterschiede zwischen arabischen Ländern und Deutschland gibt es dennoch. Ein Doktortitel hier birgt oft konkrete Vorteile, etwa bei der Gehaltseinstufung, oder konkrete Nachteile, etwa Überqualifikations-Einwände bei der Jobsuche. Ein deutscher Doktortitel ist auch klar definiert: in Medizin, Philosophie oder was auch immer. Der Klang ist immer akademischer Natur. Und Doktor ist, wer eine Doktorarbeit geschrieben hat. In der arabischen Welt nimmt man es - außerhalb des akademischen Betriebs - nicht so genau. Der Titel Doktor könnte theoretisch von jedem an jeden verliehen werden. Die Doktorbezeichnung entspringt oft dem Eindruck und könnte für intellektuell stehen, aber auch für Auslandsaufenthalte. Sie nimmt Rücksicht auf Reichtum oder soziale Stellung. Einen Chef oder einen Stinkreichen spricht man am besten mit Doktor an! Klingt fast wie "großer weiser Bruder"!

Der Araber braucht weder Nachweis über eine vollständige wissenschaftliche Arbeit zu führen noch über komplizierte Themen zu sprechen wie Föderalismusreform, um sich oder andere zu "doktorieren". Ein Freund hat es zum Doktortitel nach nur einem Jahr Deutschlandsaufenthalt Anfang der 90er gebracht. Mit einem langen Mantel, einem europäischen Hut, Winterstiefeln und Regenschirm stieg er in einer heißen Sommernacht aus dem Taxi in seinem kleinen Dorf im Süden Syriens aus, nachdem er den Taxifahrer drei Mal laut hupen ließ. Am nächsten Tag sprach das ganze Dorf nur noch vom Besuch des Doktors aus dem Ausland. Der Freund hatte eigentlich gerade "Deutsch für Ausländer - Grundstufe II" mit Ach und Krach geschafft.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Aktham Suliman leitet das deutsche Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Network i n Berlin.

© SZ vom 28./29.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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