Mein Deutschland:Die grüne Welle

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Natur oder nur eine schöne Kulisse?

Alessandro Melazzini

Eine grüne Welle trifft Baden-Württemberg und zerstört konservative Gleichgewichte, die für Jahrzehnte unwandelbar erschienen. Wer hätte das noch in den Achtzigern geglaubt? Dabei gibt es viele Gründe für diesen Erfolg: die Empörung über das Projekt Stuttgart 21 zum Beispiel oder die japanische Atomkatastrophe. Jenseits Stuttgarts haben die Grünen jedoch einen noch entscheidenderen Kampf gewonnen, nämlich denjenigen zwischen Fundis und Realos, und zwar zugunsten der letzteren. Wenn Cem Özdemir die Grünen auffordert, das "brachliegende Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus" zu übernehmen, erklärt er jedem potentiellen Wähler, dass die Grünen keine Utopisten sind.

"Grün geht's los": Nach ihrem Wahlerfolg in Baden-Württemberg sind die Grünen in der Wählergunst bundesweit auf einen neuen Rekordwert geschnellt und liegen nun vor der SPD. (Foto: dpa)

Eben diese anspruchsvolle und zugleich beruhigende Haltung haben die italienischen Grünen nicht. Kein Wähler, außer demjenigen, der mit einem sehr ausgeprägten ökologischen Bewusstsein ausgestattet ist, würde auf die Idee kommen, sie zu wählen. Denn die italienischen "Verdi" haben niemals den Sprung in die Mitte geschafft, niemals einen Wähler erreicht, der sie an die Macht bringen will, weil er wirklich denkt, diese Partei vertrete seine eigenen Interessen besser und konkreter als die anderen. Deutsche Grüne sind nicht gegen die Wirtschaft, sondern für eine andere Wirtschaft. Nicht gegen Energie, sondern für eine andere Energie. Ob sie tatsächlich recht haben, weiß ich nicht, dass sie aber ihre pragmatische Botschaft effektiv mitteilen, sieht man deutlich an den Wahlergebnissen.

Als sich in den Achtzigern die italienischen Grünen bildeten, hatten sie in Alexander Langer einen weitblickenden Vertreter. In den Jahren danach aber gewannen die Fundis die Oberhand, und gleichzeitig entstand in Italien eine andere Partei, die zwar eine grüne Fahne trug, jedoch viel pragmatischer handelte und ganz andere Interessen vertrat - die föderalistische Partei der Lega Nord. Die italienischen Grünen haben jetzt praktisch keine Bedeutung mehr, ja sind gar keine eigenständige Partei, denn sie sind mit der Extremlinken verschmolzen.

Jenseits der politischen Lage denke ich aber, dass ein wichtiger Faktor für den Unterschied zwischen Deutschen und Italienern in dem unterschiedlichen ökologischen Bewusstsein liegt. Für Deutsche nämlich bedeutet die Natur Geborgenheit, für Italiener hingegen ist sie oft nichts anderes als eine schöne Kulisse. Und oft ist sie ein Feind, gegen den man sich schützen muss; was auch nicht völlig unverständlich ist, wenn man monatelang unter einer unerbittlichen Sonne lebt, wie es zum Beispiel in Sizilien der Fall sein kann. Die deutsch-romantische Liebe zum Wald hingegen ist in Italien unbekannt. Für den Durchschnittsitaliener ist das ein unheimlicher Ort, wo es finster ist und die Wölfe heulen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 02./03.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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