Mein Deutschland:Deutschlands Stärke auf dem Prüfstand

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Angela Merkel kämpft mit dem hochverschuldeten Europa und die deutsche Nationalmannschaft um den Titel.

Celal Özcan

Zur Zeit herrscht fast Katastrophenstimmung in Deutschland. Als zeichnete sich bereits ab, dass 2010 ein schwarzes Jahr in der Geschichte des Landes sein wird. Alles kommt zusammen. Zuerst muss der Nationalkeeper René Adler seine Teilnahme an der Fußball-WM wegen Verletzung absagen.

Ballack ist bei der Fußball-WM 2010 nicht dabei. Als Trost gibt es einen Schokoladenfußballspieler mit Gipsfuß samt Namen auf dem Trikot. (Foto: dpa)

Kaum hat sich die Nation von dieser Nachricht erholt, schlägt die Eurokrise mit voller Wucht zu. Dann das böse Foul an Michael Ballack. Ein Schock. "Aus! Alles ist aus, WM ist aus, Kapitän Ballack nicht zur WM", titelten die deutschen Boulevardzeitungen. Dazu das Foto: Ballack auf Krücken, Tränen in den Augen. Mit ihm steht die ganze Nation auf Krücken und weint.

Ein brutales Foul, ausgerechnet von Kevin Boateng, dem ehemaligen deutschen U-21 Nationalspieler. Hätte dieses Schicksal die Türkei getroffen, hätte man sich die kompliziertesten Verschwörungstheorien zusammengebastelt. Da Kevin Boateng bei der WM für Ghana gegen Jogis Elf kickt, hätte man gefragt, wie viel Geld er wohl bekommen hat.

Es ist richtig, Deutschland steht vor zwei schweren Prüfungen. Es geht nicht um Leben und Tod, aber Deutschlands Stärke steht auf dem Prüfstand: die Überwindung der Eurokrise und die WM 2010. Die Prüfungskandidaten heißen Angela Merkel und Joachim Löw. Es geht um den Ball der Bälle. Merkel hat mit dem hochverschuldeten Europa zu kämpfen, Löw mit den besten Mannschaften der Welt. Um das Examen zu bestehen, brauchen beide den Teamgeist ihrer Mannschaft.

Doch die Schockstarre scheint sich ein wenig zu lösen. Ein erstes positives Zeichen ist da. Nach dem Verbot der Leerverkäufe titelten die Zeitungen: "Rückkehr einer Kanzlerin"; denn nach der Griechenlandkrise und dem Wahldebakel in NRW hatte man das Gefühl, Merkel sei nicht am Ball.

Jetzt ist Joachim Löw dran. In seinem Team spielen neben Schweini und Lahm auch Özil, Tasci, Cacau, Khedira, Gomez, Marin, Aogo, Jerome Boateng. Ganz zu schweigen von Klose, Podolski und Trochowski. Die WM-Werbung im Fernsehen spiegelt die kulturelle und ethnische Vielfalt in diesem Land: Beim Werbespot sitzen Deutsche und Migranten gemeinsam im Garten und grillen Sis Kebap, es herrscht Feierlaune. Die Haustür geht auf und eine Frau ruft: "Das Deutschlandspiel fängt an." Gespannte Erwartung. Die Fußball- und Wirtschaftsnation fiebert.

Die Türken in Deutschland sind erleichtert, dass die Türkei bei der WM 2010 nicht dabei ist, so ist wenigstens klar, zu welcher Mannschaft sie stehen. Die Integration im Fußball scheint gelungen, in der Politik ist sie noch eine lahme Ente. Das zeigten auch die Diskussionen über Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan, die sich zunächst für die Entfernung christlicher Kreuze aus staatlichen Schulen ausgesprochen hatte.

Niemanden scheint es zu stören, wenn Özil für die deutsche Mannschaft auf dem Fußballfeld steht, die Hände zum Himmel öffnet und zu seinem Gott betet. In der Politik ist das anders. Als Aygül Özkan bei ihrer Vereidigung sagte: "So wahr mir Gott helfe", wurde sofort gefragt, welchen Gott sie meinte. Der Fußball hat viele Götter, in der Politik herrscht Monotheismus.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© 29./30.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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