Mein Deutschland:Der Mini-Integrationsgipfel in der Küche

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Ausgrenzung findet durch Sprache statt - Integration auch.

Agnieszka Kowaluk

"Danke, Mama!" pflegt meine Tochter in schnippisch-höflichem Ton zu sagen, wenn sie meint, dass ich sie vor Zeugen in eine unliebsame Situation hineinmanövriert habe. "Danke, Tanja Dückers!" seufze ich, nachdem ich den neuesten Text der SZ-Autorin über Fremdenhass gegen den nach Berlin Zugezogenen, auch "Schwaben" genannt, gelesen habe. München, wo ich mich gemütlich eingenistet habe, ist nicht Berlin, tröste ich mich, aber "zugezogen" bin ich wohl.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält am 31. Januar 2012 am Ende einer Pressekonferenz nach dem 5. Integrationsgipfel im Kanzleramt in Berlin ihre Unterlagen unter dem Arm. Vertreter von Politik, Wirtschaft und Verbänden beraten darüber, wie Zuwanderer besser in die Gesellschaft eingegliedert werden können. (Foto: dpa)

Kanzlerin Angela Merkel hatte Ende Januar einen Integrationsgipfel einberufen. Man brauche, hieß es da, weniger vereinzelte Projekte, wie etwa zeitlich begrenzte Sprachkurse, sondern eher neue Strukturen, die es ermöglichen, Immigranten Teil der deutschen Gesellschaft werden zu lassen. Von umfassender frühkindlicher Bildung war die Rede, von einer "Offensive frühe Chancen".

Danke, Frau Kanzlerin! Ich bin auch sehr dafür und möchte die Deutschen damit nicht alleine lassen. An meinem Küchentisch betreibe ich Mini-Integrationsgipfel, seit ich festgestellt habe, dass meine Kochkünste bei den Freunden meiner Tochter ganz gut ankommen. Ich führe - zeitlich unbegrenzte - Sprachkurse. Sie finden seit Jahren nachmittags statt, wenn Kinder im Hof zuhören, wie ich vom Balkon aus mit meiner Tochter über die Notwendigkeit diskutiere, eine Jacke anzuziehen oder den Müll wegzubringen. Praktisches Polnisch für Fortgeschrittene ohne Vorkenntnisse. Und deshalb: "Danke, Kika!" für den Beitrag über ausländische Kinder, die Unterstützung beim Deutschunterricht bekommen, und in dem die sympathische Moderatorin die Zuschauer fragte: "Kennt ihr auch solche Familien? Polnische, türkische oder albanische?" Ja, wir kennen solche Familien. Wir sind wohl selber eine. Auch wenn bei uns keiner extra Deutschunterricht braucht. Wir kennen auch französische, italienische und amerikanische Mamas und Papas in München, doch die waren mit "solchen Familien" wohl nicht gemeint.

Meine Tochter sagt "Heimat" zu München und guckt Kika, seit sie selbst auf den TV-Fernsteuerungsknopf drücken kann. Dadurch ist Deutschland auch ein bisschen meine Heimat geworden. Ich fülle unsere DVD-Regale mit polnischen Jugendserien, weiß aber auch, worum es bei "Schloss Einstein" geht. Man kann beides mögen. Und man kann sehr leicht jemanden ausgrenzen, indem man über ihn in der dritten Person spricht, obwohl er dabei oder vor dem Bildschirm sitzt. Ausgrenzung findet durch Sprache statt. Integration zum Glück auch, und zum Glück aus freien Stücken.

In einem Leserbrief zu Tanja Dückers' Text behauptete jemand mit unerschütterlicher Gewissheit, dass Migration nur selten aus Interesse am Fremden erfolge, sondern aus Interesse am Arbeitsmarkt. Darüber weiß ich nichts, kann mich jedoch genau erinnern, wann ich mich vor Jahren in München verliebt habe: Als ich die überirdische Sunnyi Melles in einem Ibsen-Stück in den Kammerspielen und gleich danach die Ost-West-Friedenskirche des Väterchen Timofej im Olympiapark gesehen habe. "Was werden die Jungs denken, wenn ich anfange, mit den Amis rumzuhängen?" fragte einst ein besorgter Tony Soprano in einer der Folgen der Mafia-Kult-Serie. Ich habe jetzt keine Zeit fürs Überlegen. Ich muss zu einem Integrationsgipfel mit meiner deutschen Freundin. Wir wollen ein bisschen rumhängen.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Agnieszka Kowaluk ist Journalistin und Literatur-Übersetzerin. Sie berichtet unter anderem für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

© SZ vom 11./12.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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