Mein Deutschland:Der jährliche Feiermarathon

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Die Russen feiern und der Wirtschaft geht trotzdem viel Geld verloren.

Andrey Kobyakov

Weihnachten und Silvester in Deutschland: Das sind immer Weihnachtsmärkte, Feuerwerk, Schokoladen-Überdosis und zwei Ansprachen. Und nach Silvester, spätestens nach dem Dreikönigstag, ist der Feiermarathon vorbei. In Russland dagegen gelten am Jahreswechsel gleich zwei Kalender, der gregorianische und der julianische - was die Feierei in die Länge zieht. Viele Firmen geben ihren Mitarbeitern schon am 30. Dezember nachmittags frei, bei manchen beginnt der Urlaub bereits am 24. Dezember. Es wäre aber naiv zu glauben, dass sich die Russen sofort nach Neujahr und Weihnachten an die Arbeit machten. Auch das julianische, "alte Neujahrsfest" muss in der Nacht vom 13. Januar gefeiert werden. Erst Mitte des Monats befreit Russland sich aus dem feierlichem Rausch.

Jahreswechsel in Moskau. Tausende Einheimische kommen am Roten Platz zusammen, um das Feuerwerk zu betrachten und das Neujahr zu feiern. (Foto: dpa)

Beide Feste verlangen vor allem eins: Trinkfestigkeit. Beim Neujahrsfest treten Großvater Frost und seine Enkelin Snegurotschka, die junge Frau aus dem Schnee, auf. Beide kommen mit Geschenken für die Kinder - und dürfen selten abziehen, ohne eine erhebliche Menge an Wodka gekippt zu haben. Auch das Weihnachtsfest, das es als offiziellen Feiertag erst seit 1991 gibt, wird vor allem mit Festessen samt Alkohol begangen.

Zu den feierlichen Symbolfiguren zählen auch der russische Präsident und der Leiter der Gesundheitsbehörde. Bei der Neujahrsansprache, die das Staatsoberhaupt genau zehn Minuten vor dem neuen Jahr verkündet, strengen sich die Bürger an, eine Botschaft zwischen den Zeilen herauszuhören. Und seitdem Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 zurücktrat, erwarten sie von dieser Rede Überraschungen. Auftreten muss auch der oberste Arzt der Nation. Von Jahr zu Jahr fordert er meine Landsleute auf, während der Ferien auf Alkohol möglichst zu verzichten. Stattdessen empfiehlt er den Russen Spaziergänge und Sport und "ein natürliches Urlaubsgefühl ohne künstliche Stimulierung". Er könnte ebenso schweigen, denn zu Neujahr und Weihnachten essen die Russen immer sehr fett und spülen das Ganze mit Schokoladenbonbons, Mandarinen und Alkohol herunter. Allergien, Verdauungs- und Herzstörungen nehmen drastisch zu.

Unter den Feiertagen leiden aber nicht nur die Russen. Schätzungen zufolge gehen der Wirtschaft wegen der Ferienzeit umgerechnet 20 Milliarden Euro verloren. Fragt sich, ob der vom Staat geförderte Feiermarathon in einem Land, das Platz 51 im Lebensstandard-Ranking des Internationalen Währungsfonds einnimmt, nötig ist.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

© SZ vom 8./9.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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