Mein Deutschland:Der andere Beethoven

Lesezeit: 2 min

Ein Besuch in seinem Geburtshaus in Bonn lässt die Zerbrechlichkeit des großen Komponisten erahnen.

Kate Connolly

Was das Haus eines toten Künstlers über sein Leben und Schaffen aussagt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einige dieser Museen sind sicher nur gewöhnliche Touristenfallen. Doch ich habe viele positive Erfahrungen mit den ehemaligen Wohnstätten berühmter Persönlichkeiten gemacht, so dass ich jede Gelegenheit für eine Besichtigung nutze. René Magrittes schmales Haus in Brüssel gewährt so tief Einblick in seine Malerei, dass ein Besuch einer Offenbarung gleichkommt. Virginia Woolfs gemütliches Wochenendhaus gibt ein phantastisches Zeugnis ihrer Kreativität.

Ludwig van Beethoven (1770 -1827) ist einer der berühmtesten Söhne der Stadt Bonn. Sein Geburtshaus steht noch und sieht sogar noch weitgehend so aus wie zu Ludwigs Kinderzeiten. (Foto: dpa)

Als ich neulich in Bonn war, erschien es mir deshalb selbstverständlich, Beethovens Geburtshaus zu besuchen. Entschlossen bahnte ich mir einen Weg durch Horden chinesischer Touristen. Und ich bin froh darüber. Beethovens Familie lebte viele Jahre mitten in Bonn, in einem schmalen gelben Haus, das im Hof des heutigen Museums steht. Er war zwar noch relativ jung, als er wegzog. Doch dieser Ort macht sichtbar, welchen Einflüssen er ausgesetzt war und wie diese ihn zu dem machten, der er war.

Da gibt es die winzige Dachkammer, die im Originalzustand mit dunklen und unebenen Bodenbrettern erhalten ist; ein Hinweis auf die ärmlichen Verhältnisse, aus denen er stammte. Hier kam er höchstwahrscheinlich am 16. Dezember 1770 zur Welt. Die Atmosphäre des Raumes ist sehr bewegend, genauso wie seine winzige Taufhaube. Sein Lebenslauf zeigt, dass seine Familie einen landwirtschaftlichen Hintergrund hat. Der Name Beethoven geht auf Beet Hof zurück. Wäre er nicht nach dem Ausbruch der Französischen Revolution in Wien hängengeblieben, sondern nach Bonn zurückgekehrt, er wäre wohl sehr wahrscheinlich ein einfacher unbekannter Hof-Musiker geblieben.

Das Haus erzählt höchst bewegend von den Gehörproblemen, die Beethoven vom 28. Lebensjahr an plagten. In einem herzergreifenden Brief an seinen Bruder schilderte er seine Selbstmordgedanken. Noch schockierender sind wohl die gewundenen Hörner, seine klobigen und weitgehend wirkungslosen Hörgeräte, die primitiven Feuerlöschern gleichen.

Bemerkenswert sind auch seine "Konversationshefte", Papierfetzen, durch die er mit seiner Umwelt kommunizierte. Obwohl seine Antworten auf den Zetteln fehlen, wird sichtbar, was ihn bewegte und wie er seine Welt sah. Ebenso ergreifend ist das bekannte Porträt, das ihn mit wirrem Haarschopf und der Missa solemnis in der Hand darstellt. Im selben Raum befindet sich auch eine Büste. Sie zeigt einen finsteren Musiker mit zusammengebissenen Zähnen und Pockennarben - Hinterlassenschaften einer gefährlichen Kinderkrankheit. All dies wirft ein ganz anderes Licht auf Beethoven. Es zeigt die Zerbrechlichkeit eines Mannes, den wir heute gern als gewaltige und unbesiegbare Lichtgestalt sehen. Wie leicht hätte sein Leben ausgelöscht werden können, bevor die Welt Notiz von seinen Talenten nehmen konnte.

Sicher ist es seine Musik und nicht seine Persönlichkeit, die ihm überragendes Ansehen verleiht. Aber als ich vergangene Woche beim schwedischen Kammermusik-Festival Vinterfest einer überragenden Aufführung der Kreutzersonate lauschte, wurde die Musik für mich plötzlich lebendig. Und zwar auf eine Art und Weise, die ohne den Besuch von Beethovens Geburtshauses nie möglich gewesen wäre. Ich fühlte mich dem Mann hinter den Noten in diesem Moment sehr nahe.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 25./26.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: