Mein Deutschland:Die Deppen Europas

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Schluss mit dem Bild des Opferlamms.

Pascale Hugues

Wollte man der Bild -Zeitung glauben und den 61 100 Einträgen, die Google bei der Suche nach den "Deppen Europas" anzeigt, dann wären damit die Deutschen gemeint. Sie sind die Gläubiger des Kontinents, die Milchkühe, die Scheckaussteller - die reichen, braven Deutschen zahlen für die anderen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Immer dasselbe Lied.

Sucht man bei Google nach "Deppen Europas", findet die Suchmaschine 61.100 Einträge. (Foto: afp)

Fragen Sie dagegen einen Franzosen nach den Deppen Europas, wird er ohne zu zögern auf die Belgier zeigen. Übrigens liefert Google nur sechs Einträge, wenn man couillons de l' Europe eingibt. Die Briten dagegen verstehen unter Europe's idiots die Iren. Und so weiter... Allein die Deutschen schaffen es, sich selbst so abzuwerten und sich zu suggerieren, sie seien von ihren unredlichen Nachbarn hereingelegt worden. Sie legen dabei diese unerträgliche Mischung aus Selbstmitleid und Masochismus an den Tag, die man an ihnen seit dem Krieg beobachtet und von der sie sich in den vergangenen Jahren doch befreit zu haben schienen.

Nach der hässlichen xenophoben Kampagne der Boulevardpresse gegen die "Pleite-Griechen" ist es an der Zeit, die Uhren neu zu stellen und die deutsche Leidensvision zu korrigieren, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Tatsächlich sind die Deutschen die einzigen Europäer, die sich als die großen Verlierer der Wirtschafts- und Währungsunion sehen.

Für alle anderen, einschließlich der Franzosen und natürlich der Griechen, sind die Deutschen reich, effizient, intelligent, wirtschaftsstark. Vor allem aber können sie ihre Gewerkschaften und Arbeitnehmer davon überzeugen, dass Lohnzurückhaltung in dieser Krise das A und O ist. Sie schaffen es, schmerzhafte Reformen wie etwa die Verschiebung des Renteneintrittsalters zu verordnen, ohne dass ein soziales Chaos mit wochenlangen Debatten und Streiks entstünde, die das Land lähmen und der von der Krise ohnehin gebeutelten Wirtschaft schaden würden. Nein, für uns anderen sind die Deutschen die Gewinner Europas. Ganz sicher keine naive Deppen, die man an der Nase herumführen kann.

Die Deutschen rufen Bewunderung und Respekt hervor. Setzen Sie sich einmal ein paar Stunden in ein Pariser Bistro oder in eine Athener Taverne, und Sie werden sehen, dass niemand daran denken würde, diesen Exportweltmeister zu verachten, dessen hochwertige Produkte die europäischen Märkte überschwemmen und der Konkurrenz das Leben schwer machen. Wenn überhaupt, dann rufen die Deutschen Neid hervor, aber auf keinen Fall Mitleid oder Spott.

Schluss also mit dem Bild des Opferlamms, als das die Deutschen sich gerne sehen. Stattdessen sollte man sich fragen, was aus den entspannten Deutschen geworden ist, die vor noch nicht allzu langer Zeit entspannt und selbstbewusst durch die Straßen zogen und schwarz- rot-goldene Fähnchen schwenkten. Wie Deppen sahen sie ganz gewiss nicht aus.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 15./16.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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