Mein Deutschland:Das Schicksal herausgefordert

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"Ich kann nicht ohne Irak", wiederholte Atwar Bahjat bei allen Versuchen, sie von der Rückkehr nach Irak abzubringen.

Aktham Suliman

Februar 2012 - hinter dem Fenster das Weiß, das Berlin bedeckt. Die weibliche Stimme am Telefon klang freundlich, konnte aber die Enttäuschung kaum verbergen. "Schönen Abend noch!" wünschte sie mir und beendete das kurze Gespräch. Es ging darum, ob ich die von mir schon mehrmals öffentlich geäußerte Meinung gegen westliche militärische Interventionen in Krisengebieten und bei Menschenrechtsverletzungen, etwa in Syrien, nach wie vor vertrete. "Ja", antwortete ich knapp auf die Frage der Redaktionsassistentin einer bekannten deutschen politischen Talkrunde. Gesucht war aber ein "Ja" zur Intervention.

Die irakische Journalistin Atwar Bahjat wurde am 23. Februar 2006 mit zwei anderen Journalisten  entführt und getötet. Die drei Journalisten gingen nach Samarra, 95 Kilometer nördlich von Baghdad, um über den Bombenanschlag auf die Goldene Moschee von Samarra zu berichten. (Foto: AFP)

August 2003 - Bagdad ist gelb und von Amerikanern besetzt. Nur ihr Lächeln passte nicht zur gelben Stadt. Atwar Bahjat, 27 Jahre alt und gerade erst im Bagdader Büro von al-Dschasira eingestellt, wurde für mich, den Neuankömmling aus Deutschland, der in den nächsten Wochen journalistisch aushelfen sollte, zur engen Arbeitskollegin. Irak war nach der "Befreiung" im Chaos versunken. Und Atwar wollte das Schicksal regelrecht herausfordern. Warum schicke man nur männliche Kollegen auf gefährliche Einsätze, fragte sie. "Du kommst aus Europa", sagte sie einmal bei einer Redaktionssitzung in Anspielung auf die Geschlechtergleichstellung im alten Kontinent und fügte hinzu "sag doch etwas!" Ich senkte den Kopf, ratlos, und nuschelte vor mich hin: "Hier ist nicht Europa, Mrs. Atwar!".

Einmal mahnte uns ein leitender Redakteur zur Vorsicht bei der Formulierung der Meldungen. "Fahrt uns nicht gegen die Wand!" sagte er in einer arabischen Formulierung, die auf die Gefahr hinwies, dass alle Konfliktparteien auf Journalisten lauerten, dass eine missverstandene Meldung auch im neuen Irak das Leben des Journalisten oder das Verbot des Mediums zur Folge haben könnte. "Ich soll euch gegen die Wand fahren, Meister?" erwiderte Atwar lächelnd. "Noch schlimmer", antwortete er lachend, "du bringst uns durch den Aufprall auf die andere Seite der Wand!" Es war tatsächlich schwierig, Atwar von journalistischen Grundsätzen wie Ausgewogenheit und Distanz zu überzeugen, wenn es um ihre besetzte Stadt ging. Sie lächelte dann nur und sagte nichts mehr.

Februar 2006 - Berlin in unbestimmter Farbe. Der Nachrichtensprecher auf al-Dschasira meldet die Entführung von Atwar Bahjat nahe der irakischen Stadt Samarra. Sie hatte zuvor den Arbeitgeber gewechselt, weil al-Dschasira in Bagdad von dem damals regierenden Übergangsrat geschlossen worden war und sie sich mit dem unspektakulären Leben in der Al-Dschasira-Zentrale in Katar nicht anfreunden konnte. "Ich kann nicht ohne Irak", wiederholte sie bei allen Versuchen, sie von der Rückkehr nach Irak abzubringen. Am nächsten Morgen kommt die Todesnachricht: erschossen, von Unbekannten, in der "befreiten", aber vom Bürgerkrieg erschütterten Heimat.

Februar 2012 - die nette weibliche Stimme der Redaktionsassistentin klingt nicht mehr in meinen Ohren. Sie weicht einer anderen, männlichen Stimme aus dem Jahre 2003. Die Worte von den Lippen des mächtigsten Mannes der Welt in amerikanischem Englisch kündigen den Beginn der "Befreiung" Iraks an. Sekunden später die ersten Bilder der Bombardierung Bagdads, drei Jahre später das Bild von Atwar, in hellgrünem Mantel - in Blut getränkt.

A n dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Aktham Suliman leitet das deutsche Büro des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera Network.

© SZ vom 18./19.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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