Mein Deutschland:Das helvetische Paradies

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Dass die jugendlichen Schläger aus München tatsächlich aus der Schweiz kommen, war für manche schwer zu glauben - schließlich hat das Alpenidyll in Deutschland einen paradiesischen Ruf.

Markus Sutter

Als Roger Federer vor ein paar Tagen in seine Heimat Basel zurückkehrte, wollten alle dem Schweizer Volkshelden die Hände schütteln. Die alte und neue Nummer eins der Tenniswelt genießt im eigenen Land Kultstatus, aber nicht nur wegen seines sportlichen Ausnahmetalents. Der allseits Bewunderte weist zusätzlich Charakterzüge auf, die nicht zuletzt aus deutscher Sicht den typischen Schweizer verkörpern: freundlich, bescheiden, mehrsprachig und erfolgreich.

Pures Alpenidyll: In Deutschland hat die Schweiz einen paradiesischen Ruf. (Foto: Foto: dpa)

Leider gibt es auch andere Schweizer. Eine Handvoll sorgte vor kurzem für Negativschlagzeilen. Aus reinem Spaß hatten jugendliche Besucher aus der Schweiz in München wahllos Passanten angegriffen und teilweise schwer verletzt. Experten sowohl aus Deutschland wie auch in der Schweiz diskutierten wieder einmal über den Sinn abschreckender Strafen, sie alle wirkten ziemlich ratlos. In Leserbriefen deutscher Zeitungen wurde teilweise mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen, dass die Täter aus dem helvetischen Paradies stammten.

Die Reaktionen erinnern mich an eine Begegnung mit einem Luzerner, den ich vor einigen Monaten in Berlin kennengelernt habe. Der Künstler war 1989, kurz vor der Wende, aus der Schweiz nach Deutschland geflohen, weil er keinen Militärdienst leisten wollte und ein ziviler Ersatzdienst damals noch nicht möglich war. Er bat deshalb als erster Eidgenosse in Deutschland um politisches Asyl.

Als die Behörden erfuhren, dass der Asylbewerber aus der Schweiz stammt, glaubten sie zuerst an einen Scherz mit versteckter Kamera. Als sich die Flucht dann doch als real herausstellte, machten die deutschen Behörden kurzen Prozess. Sie lehnten das Asylbegehren ab. Aus dem Paradies fliehe man nicht, wurde dem Mann damals beschieden. Die Schweiz hatte in Deutschland schon damals einen Ruf.

Bei der medialen Aufarbeitung der Schläger-Attacke in Deutschland fiel vor allem auf, dass glücklicherweise niemand auf die Idee kam, diesen Einzelfall - so schlimm er gewesen ist - politisch auszuschlachten und generell gegen ausländische Jugendliche Stimmung zu machen, sie als schwer integrierbar und potenziell kriminell abzustempeln.

Eineinhalb Jahre zuvor hatte ein durchaus vergleichbarer Fall in der gleichen Stadt München noch weit geharnischtere Reaktionen ausgelöst. Nach der brutalen Attacke eines jugendlichen Türken und eines fast gleichaltrigen Griechen auf einen Rentner in der U-Bahn versuchte Hessens Ministerpräsident Roland Koch auf einer Welle der Empörung zu reiten und ausländische Jugendliche in einen Topf zu werfen. Immerhin, der Politiker wurde für seinen verbalen Übermut abgestraft. Die Deutschen wisssen mehrheitlich zu differenzieren zwischen Tätern und Nationalitäten. Hoffentlich bleibt das so.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Markus Sutter berichtet aus Berlin für die Basler Zeitung.

© SZ vom 24.07.2009/ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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