Mein Deutschland:Das China-Modell

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Ein über Nacht geschlossenes Konjunkturprogramm lässt Chinas Wirtschaft um mehr als acht Prozent wachsen.

Shi Ming

Krisen erregen Zweifel. So ruft die Schuldenkrise in Europa Skeptiker aller Couleur auf den Plan. Die einen zweifeln an den Chancen europäischer Volkswirtschaften. Die anderen an deren Widerstandsfähigkeit gegen globalen Wettbewerb, zum Beispiel aus China. Die Dritten stellen gar die Demokratie in Frage. Diese erschwere nicht nur kurzfristige Krisenentscheidungen, sondern mache sie bisweilen unmöglich, siehe das Gezänk im US-Kongress. Demokratie verleite auch dazu, dass die Politik klugen, sachkundigen Expertisen dumme, irrationale Massenstimmungen vorziehe.

China will die weltweite Bedeutung der eigenen Währung einem Pressebericht zufolge weiter ausbauen und den Yuan als Alternative zur Leitwährung US-Dollar stärken. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt strebe eine Vereinbarung mit anderen aufstrebenden Schwellenländern zur Akzeptanz von Krediten in chinesischer Währung an, hieß es in einem Bericht der "Financial Times" vom 8. März 2012 unter Berufung auf Kreise, die an den Verhandlungen beteiligt seien. (Foto: dpa)

Die Skeptiker der sperrigen Demokratie bemühen da nicht selten das sogenannte China-Modell. Dort beschlossen weise, lernbegierige Technokraten unter Ein-Parteien-Dominanz fast über Nacht ein Konjunkturprogramm in Höhe von umgerechnet 400 Milliarden Euro, nur scheinbar ohne Murren der Chinesen. Die Folge: Chinas Wirtschaft wächst auch in Krisenjahren um mehr als acht Prozent. Manche Sinologen reden dann von "Output-Legitimation", das heißt: Auch wenn niemand in China die Kommunistische Partei gewählt hat, so legitimieren die ansehnlichen Erfolge der dortigen Volkswirtschaft sie doch.

Dabei müsste gerade Deutschen auffallen, dass die deutsche Demokratie 2008/2009 trotz zäher Streitkultur blitzschnell zwei Konjunkturprogramme, in bescheidenerem Rahmen, auf den Weg gebracht hat. Dem deutschen Mehrparteiensystem stellen sich bisher keine großen sozialen Gruppen in den Weg, wenn es gilt, unpopuläre Entscheidungen wie die Schuldenbremse zu fällen. Dieser "Output" lässt sich sehen, denn der deutschen Wirtschaft wird nachhaltiges Wachstum attestiert. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Der deutsche Schuldenberg wächst zumindest nicht mehr rasant an.

Das Gegenbeispiel dazu ist Italien. Dort wächst die Staatsverschuldung seit Jahrzehnten an. Die Wirtschaft zeigt sich auch in besseren Jahren weniger dynamisch. Bei näherer Betrachtung fällt auf: Je schlechter Italiens Demokratie in ihrem Kernelement, der funktionierenden Partizipation der Gesellschaft, dasteht, desto tiefer schlittert das Land in die Krise. In Italien wie in Griechenland gilt die gleiche Rechnung: Wenn reiche Steuerhinterzieher zur Kasse gebeten würden, könnten beide Länder ihre Schuldenkrise schon morgen zähmen. Sollen nun aber beide Länder ihre Demokratie gegen Autokratie à la chinoise eintauschen oder ihre Demokratie funktionsstark und resistent gestalten, zur Abwehr der Krisen? Angela Merkel und Nicolas Sarkozy mögen noch so intensiv Peking um Milliarden für den europäischen Rettungsschirm anbetteln, das China-Modell bietet keine wirkliche Alternative für die kriselnde Demokratie in Europa.

Jüngst lieferte der Internationale Währungsfonds darauf einen vielsagenden Hinweis: Trotz sprudelnder Steuereinnahmen wächst Chinas Schuldenberg auf italienisches Niveau (117 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Kaum auszumalen, was für eine Krise ausbrechen würde, wenn Chinas Wachstum ins Stocken geriete. Das Murren der Gesellschaft würde für die Machthaber in Peking immer bedrohlicher. Pekings Etat für Staatssicherheit übersteigt schon jetzt den astronomischen Verteidigungsetat - um soziale Stabilität zu wahren, wie es heißt - und lässt Chinas Schuldenberg anwachsen. Autokratie à la chinoise eben.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Shi Ming arbeitet als Freier Journalist und Publizist. Er lebt in Freiburg.

© SZ vom 03./04.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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