Mein Deutschland:Das alte Feindbild lässt grüßen!

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Wer heute Libyen bombardiert, kann morgen auch Russland angreifen.

Andrey Kobyakov

90 Prozent der Russen sind noch im August in einer TV-Umfrage für die Unterstützung des mittlerweile flüchtigen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi eingetreten. An der Abstimmung während einer politischen Talkshow nahmen mehr als 60 000 Zuschauer teil. Dazu muss man wissen, dass im russischen Internet Websites wie "Für Gaddafi und sein Volk!" existieren und das prostaatliche Fernsehen den Kampf der Rebellen in Libyen immer mit einem negativen Hintergrund beleuchtet. So gesehen sind diese schockierenden Abstimmungsergebnisse vielleicht gar nicht so überraschend.

Die neue Flagge Libyens unter Führung des Nationalen Übergangsrats weht vor der libyischen Botschaft in Moskau. (Foto: dpa)

Doch warum unterstützen so viele Russen den libyschen Diktator? Natürlich liegt es nicht nur an der PR-Kampagne der prostaatlichen Fernsehkanäle, die durch die Auswahl der Bilder, der Filmstorys und der passenden TalkshowModeratoren die Zuschauer pro Gaddafi beeinflussen. Auch 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fürchten viele Russen immer noch den mit einer Revolution einhergehenden Verlust von Stabilität - auch wenn eine solche Stabilität in Russland ohnehin nur scheinbar existiert. Zudem stellen sich die meisten Einwohner Russlands nach wie vor aus Gewohnheit nicht auf die Seite des Westens. "Wer heute Libyen bombardiert, kann morgen auch Ihre Heimat angreifen" - eine solche subtile Botschaft strahlen die Fernsehbildschirme aus und erneuern damit stetig das alte Feindbild.

Diese Stimmung unter den russischen Bürgern lässt auch darauf schließen, dass bei einer Tandem-Kandidatur von Präsident Medwedjew und Premierminister Putin bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 der heutige Regierungschef viel mehr Chancen hat als sein Protegé, der Präsident.

Allerdings wurde Gaddafi auch zu einem Lackmustest für die Deutschen und ihre Außenpolitik. Im Unterschied zu Russland sind in Deutschland demokratische Ansichten unumstößlich und die Medien weitgehend frei von staatlichem Einfluss. Einer im Sommer durchgeführten Emnid-Umfrage zufolge hielten 62 Prozent der Befragten in Deutschland den Natoeinsatz gegen das Gaddafi-Regime daher auch für richtig. Gleichzeitig waren aber 65 Prozent gegen die Beteiligung der Bundeswehr an dieser Mission.

Ein solcher Standpunkt - für den Kampf, aber bitte nicht mit meinen Fäusten - sieht ziemlich komisch aus. Man kann ja auch nicht "ein bisschen schwanger" sein. Die Funktionsverteilung innerhalb eines Teams, in dem einige Teilnehmer als Akteure und die anderen als Zuschauer agieren, könnte das europäisch-atlantische Militärbündnis zu einem Amateurverein machen. Was wiederum viele Russen - das alte Feindbild lässt grüßen - gar nicht so schlecht fänden.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

© SZ vom 10./11.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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