Mein Deutschland:Angst und Respekt vor Uniformen

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Deutschland ist bereits entmilitarisiert, das türkische Militär verliert gerade erst an Einfluss.

Celal Özcan

In Geographie sind die reiselustigen Deutschen sehr beschlagen. Sie wissen, wo sich die Länder dieser Erde befinden, jedenfalls besser als Amerikaner oder Türken, die bei Austria/Avusturya und Australia/Avustralya schon mal ins Grübeln kommen. Auch bei der Kenntnis der Namen von Staats- und Ministerpräsidenten können andere Nationen den Deutschen nicht das Wasser reichen. Anders sieht es aus, wenn man sie nach dem Generalstabschef ihres eigenen Landes fragt. An der Spitze des Führungsrats der Streitkräfte steht der Generalinspekteur der Bundeswehr, aber dessen Name ist nicht jedem geläufig.

Neben dem Ramadan-Fest fand in der Türkei auch das 89. Siegesfest zum 30. August statt. Die erste Zeremonie wurde am Atatürk Mausoleum (Grabdenkmal des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk) in Ankara abgehalten. Es nahmen der Generalstabschef  Necdet Özel (1. Reihe, dritter von rechts) die Kommandanten der Waffengattungen sowie hochrangige Militärs teil. Nach der Kranzniederlegung am Mausoleum trug sich Generalstabschef Necdet Özel in das Ehrenbuch ein. (Foto: dpa)

Anders in der Türkei, wo bis vor kurzem jedes Wort aus dem Munde des Generalstabschefs auf die Titelseiten kam. Aziz Nesin beschreibt in einer satirischen Erzählung die Angst und den Respekt der Türken vor der Uniform: Der Kofferträger eines Fünf-Sterne-Hotels wird wie ein General behandelt, weil er, um einen Zug nicht zu verpassen, die Reise in seiner Arbeitsuniform angetreten hat. Kein Mensch traut sich in sein Abteil, obwohl die Leute im Gang zusammengedrängt stehen, in brütender Hitze. Selbstverständlich kennen die Türken die Militäruniformen ihrer Paschas. Aber sie vermuten, dass es sich hier um einen ausländischen Pascha handelt. Und der Kofferträger, entzückt vom Respekt, der ihm entgegengebracht wird, beschließt, von nun an immer in seiner Uniform zu reisen.

Doch auch in der Türkei scheint jetzt eine neue Ära angebrochen zu sein. Das türkische Militär verliert an Einfluss, nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft. Viele wählen die AKP auch deshalb, weil sie den anderen Parteien nicht zutrauen, das Militär in die Schranken zu weisen. Aber ausgerechnet viele Linke, die unter dem Militärputsch 1980 am meisten gelitten haben, scheinen gegen diese Wende zu sein. Ein Bekannter, der kurz nach dem Militärputsch, als überall Razzien stattfanden, seine Bücher zu Hause im Ofen verbrannte, meinte: "Gegen das Militär darfst du nichts sagen."

Es war das Militär, das nach dem Ersten Weltkrieg aus den Trümmern des Osmanischen Reiches eine moderne Türkei schuf und laut Verfassung den Schutz gegen innere und äußere Feinde übernahm. Doch es war dasselbe Militär, das 1980 die vom Volk gewählten Repräsentanten mit Waffengewalt aus der Macht drängte und 65 000 Menschen ins Gefängnis steckte. Dass nicht die bürgerlich-demokratischen Parteien den Schritt wagten, das Militär in die Kaserne zurückzudrängen, sondern ausgerechnet eine religiös geprägte Partei wie die AKP, kompliziert die Verhältnisse zusätzlich. Paradox ist, dass heute viele Offiziere wegen angeblicher Putschpläne gegen die regierende AKP im Gefängnis sitzen, während die wahren Putschisten von 1980 unbehelligt bleiben.

Die Geschichte des ostpreußischen Schuhmachers, der 1906 in einer gebrauchten Hauptmannsuniform so großen Respekt genoss, dass er mit einem Trupp Soldaten das Rathaus von Köpenick bei Berlin besetzte, den Bürgermeister verhaften ließ und die Stadtkasse beschlagnahmte, entlarvte einen Militarismus, der in Deutschland heute zur Vergangenheit gehört. Die Türkei ist gerade erst dabei, sich zu entmilitarisieren.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 27./28.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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