Mein Deutschland:Angst, Trotz und Prinzip

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Begeisterte Computer-Freaks gegen misstrauische Rentner?

Alessandro Melazzini

Keine Experimente! So lautet ein erfolgreiches CDU-Schlagwort aus den Fünfziger Jahren. Es könnte sich aber genauso gut auch um den Slogan jener zahllosen Deutschen handeln, die zurzeit bei Google einen Antrag auf Unkenntlichmachung ihrer Häuser im Internet stellen, damit ja kein Spanner ihre Tujen im Vorgarten mittels des Street-View-Dienstes ausspionieren kann. Der Ärger zwischen Gegnern und Befürwortern, zwischen begeisterten Computer-Freaks und misstrauischen Rentnerinnen, die sich um die digitale Präsenz von Häuschen balgen werden, ist unausweichlich und er wird gewaltig sein.

Das Logo von Google Street View. Aufgenommen in Düsseldorf mit dem Schatten eines Fotografen und einer Frau, die nicht fotografiert werden will. Gegen den Start von Google Street View in Deutschland gibt es massive Proteste. (Foto: dpa)

Warum aber stößt hierzulande die elektronischen Bilder der Straßen auf weitaus heftigere Kritik als in Italien, wo derselbe kostenlose Dienst keine Empörungswelle ausgelöst hat? Und das, obwohl gerade im Bel Paese das aufdringliche Aufnehmen der öffentlichen Plätze schon einige Zwischenfälle verursacht hat, wie zum Beispiel vor drei Jahren, als die Kameras die Radrennfahrer des Giro d'Italia entlang der Riviera filmten und dabei einer verblüfften Zuschauerin verrieten, dass sich ihr Mann mit seiner Geliebten am Strand von Sarzana aufhielt.

Doch die These, die Deutschen unterhielten derart viele Techtelmechtel auf offener Straße, dass sie sich deswegen gegen Street-View wehren müssen, ist eher kühn. Dass ausgerechnet in der Bundesrepublik so viele Menschen nicht einverstanden sind, wenn ihre Häuser digital aufrufbar sind, hat im wesentlichen drei Ursachen: Angst, Trotz und Prinzipienreiterei. Man will hier nicht ungefragt und dazu unentgeltlich sich selbst beziehungsweise sein Eigentum zur Schau stellen, man fürchtet den sozialen Neid und hält sich lieber bedeckt. Nicht zufällig ist der reichste Mann Italiens ein Medienmogul, der dazu Showman und Politiker geworden ist und dessen Name, Taten und Villen fast jeder in Europa kennt, während ein Herr Albrecht praktisch ein Phantom ist. Wenn in Italien das Zeigen seines Vermögens ein Mittel sein kann, um Wählern zu imponieren, schweigt man hierzulande beim Genießen lieber. Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn die Anträge zur Unkenntlichmachung der Häuser eher aus Bad Godesberg oder Berlin-Grunewald als aus Marzahn oder dem Münchner Hasenbergl kämen.

Der Anti-Google-Kreuzzug zeigt überdies die unterschiedlichen Auffassungen von Öffentlichkeit in Deutschland und Italien. Nicht selten wird der öffentliche Platz jenseits den Alpen als etwas wahrgenommen, das niemandem gehört und wenig Respekt verdient. Deshalb: schräge Bürgersteige, ungepflegte Parkanlagen, gelegentlicher Hundekot, Graffiti auf Häusern und Denkmälern. Hier dagegen gehört der offene Raum jedem Bürger, der sich gerne als Ordnungshüter einsetzt, um eine Fahrerflucht anzuzeigen oder Vandalismus. Ferner stehen in Italien oft die heruntergekommenen Häuserfassaden im Gegensatz zu einem äußerst gepflegten Inneren, denn man interessiert sich nicht so sehr für das, was "da draußen" steht. Was zählt, ist das, was man privat besitzt.

Hingegen wird in Deutschland das Äußere der Wohnungen als wichtiger Teil des Inneren wahrgenommen. Deswegen pflegen und hüten viele den Vorgarten und die Fassade sogar mehr als die eigenen vier Wände, in denen ab und zu durchaus chaotische Zustände herrschen. Aber die sieht ja keiner, Google-Street-View hin oder her.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Alessandro Melazzini arbeitet als Kulturkorrespondent für die italienische Tageszeitung Il Sole 24 Ore.

© SZ vom 4./5.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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