Mein Deutschland:Am besten ganz auf Fleisch verzichten!

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Kümmeltürke und Spaghettifresser sind im Duden bereits zu finden. Der Schweinefleischfresser noch nicht.

Celal Özcan

Wie unberechenbar, ja wie maß- und zügellos der Mensch mit der Sprache umgehen kann, das beschreibt ein türkisches Sprichwort: "Die Zunge hat keinen Knochen." Sprache kann entgleisen, sie kann vulgär, verletzend, beleidigend sein. Harmlose Wörter, aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst, können treffen wie ein Peitschenhieb. Das zeigt sich auch in den Namen, mit denen man Menschen entsprechend ihren nationalen kulinarischen Spezialitäten zu charakterisieren pflegt, eine Unsitte, die auf der ganzen Welt verbreitet ist. Die Italiener werden zu Spaghettifressern, die Türken zu Knoblauchfressern oder Kümmeltürken, die Deutschen zu Krauts. Die Liste lässt sich beliebig verlängern, und der aktuellen Wortschöpfungen ist kein Ende: Döner meint einen Türken, Kartoffel den Deutschen, der neuerdings auch Schweinefleischfresser heißt.

Schweinefleischfresser oder halbe Kartoffel? Wortschöpfungen können vulgär, verletzend und beleidigend sein. (Foto: dpa)

Die Italiener übrigens nennen die Deutschen Würstel con Krauti. Mit ein wenig Phantasie könnte man die Griechen als Souflaki, die Franzosen als Baguette, die Spanier als Tortilla oder die Japaner als Sushi bezeichnen. Ich selbst wurde in Deutschland schon mal Kameltreiber genannt, obwohl ich noch nie auf einem Kamel gesessen bin und es da, wo ich herkomme, gar keine Kamele gibt. Allerdings habe ich beobachtet, dass die Deutschen im Urlaub in Marokko, Tunesien und der Türkei zu begeisterten Kameltreibern werden und voller Stolz die Fotos herzeigen, auf denen sie auf dem Rücken eines Kamels schaukelnd eine kleine Runde drehen. Meine Verärgerung über den "Kümmeltürken" legte sich, als ich erstaunt feststellte, dass Kümmelbrot und Kümmeltee, ja sogar Kümmellikör und Kümmelschnaps in Deutschland zu den Delikatessen zählen, und Kümmelzäpfchen bei Verstopfung sehr hilfreich sein können. Inzwischen gibt es in Deutschland auch fast mehr leidenschaftliche Spaghettifresser als in Italien und mehr Dönerfresser als in der Türkei. Umgekehrt gilt: Italiener, Spanier und Japaner sind regelrecht verrückt nach deutschen Bratwürsten, Bratkartoffeln und Schweinebraten.

Vor deutschen Gerichten können Stinkefinger, Vogelzeigen, Beschimpfungen wie "Dumme Kuh", "Wichser", "Schlampe", "alte Sau" und "fieses Miststück" mit bis zu zwei Jahren Haft oder mit einer Geldstrafe bis zu 2500 Euro geahndet werden. Spaghettifresser, Döner, Schweinefleischfresser, Kartoffel oder Kümmeltürke dagegen sind als Wort an sich nicht strafbar, da kommt es auf den Zusammenhang an. In den Duden hat "Schweinefleischfresser" bisher noch nicht Eingang gefunden, Kümmeltürke und Spaghettifresser sind dagegen fest etabliert.

Jetzt aber verlangen in Deutschland verschiedene Politiker, deutschfeindliche Bezeichnungen wie Schweinefleischfresser unter Strafe zu stellen. Es ist sogar von einer Gesetzesinitiative die Rede, um solche sprachlichen Entgleisungen zu verhindern. Sicherlich wäre es eine vorbeugende Maßnahme, denjenigen, der einen Deutschen als Schweinefleischfresser bezeichnet, zum Schweinefleischessen zu verurteilen. Andererseits gilt die alte Wahrheit: Was trifft, trifft zu. Wenn Deutsche und Türken sich von solchen Klischees befreien wollen, sollten sie am besten ganz auf Fleisch verzichten.

Ein türkischstämmiger Junge, der hier geboren und aufgewachsen ist, erzählt, dass seine deutschen Freunde ihn eine "halbe Kartoffel" nennen. Er selbst möchte aber nicht als halbe Kartoffel gesehen werden, sondern wenn schon, dann als ganze.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 20./21.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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