Mein Deutschland:Alone in Berlin

Lesezeit: 2 min

Die fieberhafte Suche nach einem traurigen und packenden Roman.

Kate Connolly

Neulich ist mir eine ungewöhnliche Geschichte passiert: Als mich eine Freundin aus England fragte, ob ich einen ganz bestimmten deutschen Roman gelesen hätte, und ich verneinte, empfahl sie ihn mir mit Nachdruck. Der Roman war Hans Falladas "Jeder stirbt für sich allein" oder "Alone in Berlin", wie er auf Englisch heißt. Das war insofern ungewöhnlich, als normalerweise ich es bin, die Freunden in England deutsche Kultur empfiehlt - und nicht umgekehrt. Oft dränge ich sie dazu, zum Beispiel eine Theateraufführung des Berliner Regisseurs Thomas Ostermeier in London oder ein Stück der mittlerweile verstorbenen Pina Bausch zu sehen, oder Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" zu lesen. Doch das läuft in der Regel wie auf einer Einbahnstraße. Es ist selten, dass Freunde mir etwas Deutsches empfehlen. Meine Heimat ist ein Land, das trotz seiner Offenheit gegenüber der Welt auf vielen Gebieten kulturell doch sehr beschränkt sein kann. Man muss nur in die Kinderabteilung eines Buchladens gehen und die Zahl der ausländischen Autoren zählen, die ins Englische übersetzt wurden - da gibt es überraschend wenige.

Das Archivbild zeigt das Haus im mecklenburgischen Carwitz, in dem der Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947) zwischen 1933 und 1945 mit seiner Familie lebte. Hier entstanden so berühmte Werke wie "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt" (1934) und "Wolf unter Wölfen" (1937). Während im benachbarten Feldberg der Nachlaß des großen deutschen Erzählers aufbewahrt wird, ist das Carwitzer Anwesen zu einem Museum mit dem originalgetreu eingerichteten Fallada-Arbeitszimmer und einem Veranstaltungsraum für 80 Besucher gestaltet worden (Foto: DPA)

So ging ich also auf die Suche nach Falladas Roman, ganz gierig, ihn im deutschen Original zu lesen. Mein Interesse wurde ganz besonders erregt durch den ersten Satz des Werks, in dem eine Briefträgerin die Treppen eines Hauses in der Jablonskistraße hinaufsteigt. In dieser Straße im Nordosten Berlins lebte mein Mann, als wir uns das erste Mal trafen. Aus meiner Jagd nach dem Buch wurde eine fieberhafte Suche, denn es war nicht zu bekommen. Immer wieder schüttelten Buchhändler und Antiquare ihre Köpfe: Das Buch war nicht mehr verfügbar. Nachdem ich auch in Antiquariaten in Brandenburg herumtelefoniert hatte, zog schließlich ein Secondhand-Buchhändler aus Babelsberg eine zerfledderte, blau-gebundene Ausgabe hervor.

Der Roman, der die Geschichte eines Paares erzählt, das seine eigene kleine Kampagne gegen das Nazi-Regime startet, indem es Postkarten gegen Hitler schreibt und verschickt, schnellte unterdessen nicht nur in England, sondern auch in den USA die Bestseller-Listen hinauf. 60 Jahre hatten angelsächsische Verleger gebraucht, um das Buch zu entdecken. 1947 war es von ihnen zurückgewiesen worden, vielleicht wegen Falladas ostdeutscher Verbindungen, die ihn als Kommunisten abstempelten, oder einfach weil alles Deutsche so kurz nach dem Krieg einfach tabu war.

Aber jetzt ist der Roman eine Sensation, mit 300 000 verkauften Exemplaren allein in Großbritannien, was ihn auf der Bestsellerliste höher platziert als so manchen "Klassiker" von George Orwell, Jane Austen und Charles Dickens. In den USA wurden bisher 200 000 Exemplare verkauft, die New York Times nennt ihn ein "literarisches Großereignis". Jetzt wird der Roman auch in 20 weiteren Ländern, von Israel bis Argentinien, gelesen. Und auch in Deutschland soll nun eine neue, ungekürzte Originalfassung des Romans erscheinen. Es ist merkwürdig zu sehen, dass die Werbekampagne dazu nicht auf seinen Wert als großartiger deutscher Klassiker abhebt, sondern darauf, wie gut sich der Roman international verkauft. Doch so ist es leider oft: Erst muss etwas Deutsches in den USA geschätzt werden, bevor es zu Hause die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Ich jedenfalls schätze den Umweg, über den ich zu diesem traurigen und packenden Roman kam - der mir sonst vielleicht durch die Lappen gegangen wäre.

An dieser Stelle schreiben Auslandskorrespondenten über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 12./13.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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