Die besten Blogs zu:"YUE YUES TOD"

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Was ist mit den Gefühlen der Chinesen passiert?

Ausgewählt von Henrik Bork

"Was ist bloß falsch gelaufen in unserem Land?" fragt der chinesische Blogger mit dem poetischen Namen "Vater des kleinen Kükens Wowo" ( http://weibo.com/1909624383). Wie Millionen anderer Blogger in China auch schreibt er sich sein Entsetzen über den Tod der zweijährigen Yue Yue vom Leib. Das kleine Mädchen war vor zwei Wochen auf einer Straße im südchinesischen Foshan überfahren worden. Achtzehn Passanten waren achtlos an dem schwer verletzt auf der Straße liegenden Kind vorbeigegangen, ohne zu helfen. Ein zweiter Wagen überrollte das Kind, das später nach einem längeren Kampf auf der Intensivstation starb. In der chinesischen Blogosphäre hat der Fall eine lebhafte Debatte über Herzlosigkeit und Moralverfall in der chinesischen Gesellschaft ausgelöst. Es sei kein normaler Unfall, sondern grenze an Mord, was da passiert sei, schreibt der Blogger, da schließlich beide Fahrer von der Unfallstelle geflohen seien, die das Mädchen überrollt hatten.

Die Eltern von Yue Yue vor dem Militärhospital in Guangzhou/Südchina. Das Mädchen wurde nacheinander von zwei Autos überrollt und blutend auf der Straße liegend von 18 Passanten und Zweiradfahrern ignoriert worden. Erst eine Müllsammlerin kam dem Mädchen zur Hilfe und alarmierte die Mutter. Eine Woche kämpften die Ärzte um ihr Leben, doch Yue Yue starb am 21. Oktober 2011 an ihren schweren Hirnverletzungen. (Foto: AP)

Andere geißeln das Verhalten der Eltern der kleinen Yue Yue. Sie hatten sie nur eine Minute lang aus den Augen gelassen, bevor sie auf die Straße gerannt war. "Ich fordere die Polizei in Foshan mit Nachdruck auf, die Eltern von Yue Yue zu verhaften", schreibt Qin Xuezhou aus der zentralchinesischen Provinz Hubei ( http://weibo.com/qinxueyan), ein achtzehnjähriger Schüler.

Mit Abstand die meisten Kommentatoren jedoch verdammen die 18 Passanten, die von einer Verkehrsüberwachungskamera dabei gefilmt worden waren, wie sie achtlos an dem noch lebenden Mädchen und seiner Blutlache vorbeigelaufen waren. Als "18 luren", also "die 18 Passanten", sind sie inzwischen in der regen Online-Debatte zu einem Synonym für Kaltherzigkeit und Indifferenz geworden. "Die Leute sind heutzutage schlimmer als wilde Tiere", schreibt beispielsweise die Bloggerin "Sehnsucht nach meinem Stück Himmel" aus Shanghai ( http://weibo.com/wangy625). Allzu stark kann ihre Empörung allerdings nicht gewesen sein, denn schon im nächsten ihrer Blog-Einträge widmet sie sich kurz darauf den Details ihres Abendessens: "Krebsfleisch, geschmorter Tintenfisch, ... ein Glas Weißwein, hihihi."

Andere graben ein wenig tiefer. Was etwa eine Gesellschaft wert sei, die zwar allgemeinen Wohlstand anstrebe, der aber "jegliche Menschlichkeit abhandengekommen sei", fragt der Blogger mit dem Namen "Reiches und nobles Kind" ( http://weibo.com/1722819635). Das Verhalten gegenüber Fremden sei ein einfaches Mittel, um den Grad der Zivilisiertheit einer Gesellschaft zu messen, findet der Mann aus Qingdao in der ostchinesischen Provinz Shandong. "Globale Erderwärmung, aber was ist mit den Gefühlen der Menschen passiert, sind die kalt geworden?", fragt er. Vor lauter Mitleid für die kleine Yue Yue sollten seine Landsleute nicht vergessen, sich selbst zu fragen, was sie zu diesem Klima allgemeiner Indifferenz beigetragen hätten.

© SZ vom 03.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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