Der beste Blog zu:TERRORANGST

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Kein Grund zur Panik oder im Windschatten einer vermeintlichen oder realen Terrorbedrohung Freiheitsrechte opfern.

Ausgewählt von Corinna Nohn

Die Kuppel des Reichstags ist gesperrt, Polizisten mit Maschinengewehren schützen das Parlament, Kanzlerin Merkel sagt: "Die Bedrohungen sind leider real." Nein, kein Grund zur Panik, findet Mario Sixtus aus Düsseldorf und hat deshalb am Montag die Seite www.wirhabenkeineangst.de ins Netz gestellt. Bereits Hunderte Beiträge und Bilder geißeln die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung mit sarkastischem, teils auch sehr ernstem Unterton.

Sicherheitsvorkehrungen am Reichstag: Polizisten der Bundespolizei patrouillieren vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Die Polizei reagiert mit umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen rund um den Sitz des deutschen Bundestages auf die jüngsten Terrorwarnungen. (Foto: dpa)

Die meisten begegnen den Vorsichtsmaßnahmen mit Spott. Miraimist aus München zum Beispiel hat ein Foto vom Münchner Flughafen bearbeitet, über dem Gepäckband hängt jetzt der Hinweis für Einreisende, jederzeit eine Gasmaske zu tragen und sich ja nicht "multikulturell" zu verhalten - das könnte die Leute verstören. Ein anderer Blogger hat unter dem Stichwort "Herrenlose Gepäckstücke" ein Bild mit einem halben Dutzend grüner und roter Koffer eingestellt, er schreibt: "Heute habe ich in einem Berliner Kaufhaus eine ganze Reihe herrenloser Koffer gesehen. Sie sahen so aus als hätte man sie absichtlich da hin gestellt." Und unter einem Foto, das einen Mann zeigt, der neben einem Koffer seine Notdurft verrichtet, fordert jemand "Kein Schiss vor Gepäck!" und reimt: "Wer macht Panik und Geschrei? / Regierung, Presse, Feuer frei! / Das Volk indes, man mags nich glauben / lässt sich nicht Nerv und Freiheit rauben. / Schwarz-Gelb beschneidet alles Recht / und selbst der Polizei wird schlecht. / Zu viele die sich plötzlich wehren / und gegen Repression begehren. / Und Schuld daran, dass wissta / ist nur der de Maizière-Minister."

Andere Kommentare sind sachlicher, aber oft auch bitter. So fragt Andreas aus Berlin unter der Zeile "Angsthase, Pfeffernase / morgen kommt die Vorratsdatenspeicherung": "Wenn die Bedrohung so hoch ist, wieso können dann Castor durchs Land rollen. Gerade erst und im Dezember schon wieder?" Initiator Sixtus wirft der Bundesregierung vor, sie wolle "im Windschatten einer vermeintlichen oder realen Terrorbedrohung unsere Freiheitsrechte beschneiden, Überwachungsstrukturen schaffen und ganze Bevölkerungsgruppen unter Pauschalverdacht stellen". In diesem Sinne lautet ein Beitrag: "Ich habe Angst vor Generalverdacht durch Vorratsdatenspeicherung, Hausdurchsuchungen ohne Richterbeschluss oder vorläufigen Verhaftungen potentieller Störer. Vor der Erweiterung der Überwachung aller öffentlichen Plätze und davor, dass es hier bald aussehen könnte wie in der Londoner Tube." Und ein Blogger gibt an, er fürchte sich zwar nicht "... vor bösen Taten. Aber ich habe Angst vor manipulativer Panikpropaganda und vor heissluftigem Schönsprech, dem keine Taten folgen."

Viele kritisieren auch die Rolle der Medien, die die Terrorwarnungen verbreiten. So hat ein Kommentator unter dem Stichwort "Vertrauen" ein Foto von einem Baby eingestellt, es schaut den Leser mit großen Augen an und denkt laut Unterzeile: "Bis ich lesen oder fernsehen kann, habe ich keine Angst!" und Key Seven schreibt: "Ganz ehrlich? Ich habe kein TV-Gerät. Ich habe kein Radio. Ich habe keine Tageszeitung. Ich habe keine Angst. Habe ich was verpasst?"

Mehr als 200 000 Besucher haben die Webseite bereits aufgerufen. Doch der Initiator ist der Meinung, dass die Aktion die eigentlichen Adressaten wohl nicht erreichen wird. "Was sich im Internet artikuliert, wird vom Radar der Politik nicht erfasst." Außer natürlich, es geht um Terrorwarnungen.

© SZ vom 25.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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