Bundestagswahl:Argumente in der Urne

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Viele Wahlberechtigte sind unzufrieden mit den Parteien. Bleibt nur das Fernbleiben von der Wahl zum Ausdruck des Unbehagens? SZ-Leser diskutieren.

Über die Nichtwähler ("Trotz im Dunkeln, 21. September) schreiben Leser:

''Unverständlich, dass mit keinem Wort die einfache Alternative erwähnt wird: wählen gehen und den Wahlzettel ungültig machen. Etwa durch eine Aufschrift: "Keine große Koalition". Demonstrative Stimmenthaltung ist die einzige Möglichkeit, gegen absehbare große Koalitionen zu votieren.

Aber genau hier liegt der Grund, aus dem diese Methode allenthalben verteufelt wird. Sie würde nämlich Scheinalternativen von Berufspolitikern verhindern, die ohnehin vorhaben, nach der Wahl gemeinsame Sache zu machen. Wie gehabt, bei unserer letzten Bundestagswahl. Und das Wichtigste: Als Konkurrenten aufgetretene Parteipolitiker können nach einer Wahl nicht einfach behaupten, vom Wähler zu einer Großkoalition zusammengezwungen worden zu sein.

Leider wird, wer bei uns bei unklarem Wahlausgang für Neuwahlen plädiert, verteufelt und gar als undemokratisch diffamiert. Dabei ist per Wahlzettel kund getane Stimmverweigerung das einzige Mittel, das parteimüden Wahlbürgern bleibt, um für ihr demokratisches Grundrecht zu demonstrieren, echte Wahlalternativen zu bekommen.

Man muss nur mutig für dieses Verhalten werben und den Wählern erklären, dass sie wahre Demokraten sind, wenn sie so abstimmen. Dazu gehörte allerdings auch, dass Neuwahlen, eigentlich müsste man von Wahlwiederholungen sprechen, nicht länger als tabu behandelt werden.''

Dr. Horst Krautkrämer Heidelberg

Das Gewicht der Nichtwähler

''Man kann nur überrascht sein, dass intelligente Menschen zum "Nichtwählen" aufrufen - gibt doch der "Nichtwähler" dem Bürger der seine Stimme abgibt, ein viel höheres Gewicht: Bei einer Wahlbeteiligung von nur 50 Prozent wiegt jede abgegebene Stimme doppelt (also wie zwei Stimmen), denn die im Endergebnis ausgewiesenen Prozentanteile der Parteien werden von den abgegebenen Stimmen her berechnet.

Zudem erringen Minderheiten (auch radikale Parteien) höhere Prozentwerte, weil sie ihre Gefolgschaft besser mobilisieren als die durchschnittliche Partei. Wenn also jemand allen Parteien wirklich die rote Karte zeigen will, dann muss er eine ungültige Stimme abgeben. Diese wird als Wahlbeteiligung gezählt, mindert aber den Prozentanteil aller Parteien.''

Peter Krusche Bad Krozingen

Argumente in die Urne

''Obwohl der Anteil der Ungültigwähler vielerorten die fünf Prozent überschreitet, findet dies in der aktuellen Debatte kaum Beachtung. Frau Roll schlägt den Volksparteien vor, sich mit den Motiven der Nichtwähler zu befassen. Einfacher wäre es, die deutlich vorhandene Motivation der Ungültigwähler zu nutzen und diese aufzufordern, ihren Grund für das ungültige Wählen aufzuschreiben und in einem Briefumschlag mit dem Wahlschein in die Urne zu werfen.

Oder wie es auf der Seite www.ungueltigwaehler.de empfohlen wird: "Ziel ist es nach der Bundestagswahl, Eure Statements dem Präsidenten des frisch gewählten Parlaments zu übergeben. Wir sind sicher, dass die Sekretärin des Assistenten einer Mitarbeiterin des Präsidenten auch tatsächlich darin lesen wird."''

Julia Hanisch Korschenbroich

Wie viel Geld Parteien wirklich bekommen

''Der Ex-Politiker Stefan Grüll sagt: "Wenn nur noch 70 Prozent zur Wahl gehen, sollten auch nur 70 Prozent Wahlkampfkostenerstattung ausgeschüttet werden." Das ist eine stammtischbekannte Forderung. Sie ignoriert aber, dass den Parteien null Prozent ihrer Wahlkampfkosten erstattet werden.

Die staatlichen Zuschüsse richten sich ausschließlich danach, wie viele Stimmen eine Partei erhalten hat, also nach ihrem Wahlerfolg, sowie nach der Höhe der Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Wie viel Geld eine Partei für Wahlkämpfe ausgibt, spielt für die staatliche Bezuschussung überhaupt keine Rolle.

Herr Grüll als Jurist und jahrelanger politischer Funktionsträger sollte die gesetzlichen Regelungen zur Parteienfinanzierung kennen. Trotzdem fabuliert er von Wahlkampfkostenerstattung. Beifall ist ihm gewiss. Ärgerlich ist, dass ihm die SZ ohne Nachfrage eine Plattform für sein populistisches Gerede bietet.''

Gisela Trinkwitz Germering

Auswählen statt wählen

''Selbstverständlich nehme ich mein Wahlrecht wahr, die Demokratie muss gestützt werden. Aber ich wähle niemanden. Ich halte keinen der mir zur Auswahl stehenden Kandidaten für geeignet mich zu vertreten.

Die Parteien, die allesamt ein trauriges Bild abgeben, müssen nachhaltig auf ein zu änderndes Wahlverfahren aufmerksam gemacht werden. Auch wenn es komplizierter wird, ich möchte gerne auswählen dürfen. Wie bei der Kommunalwahl.''

Karl Kehrle München

Gegen den Willen der Bevölkerung

''Tatsächlich sind Nichtwähler, zu denen ich mich bei diese Wahl zum ersten Mal zähle, keine Idioten oder Ignoranten. Ich jedenfalls möchte damit meiner Enttäuschung Ausdruck geben. Es geht den Politikern nur noch um Macht und Geld. Mit der Finanzierung der parteinahen Stiftungen, des Proporzes in nationalen und supranationalen Einrichtungen sowie des völligen Fehlens kritischer Berichterstattung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten haben sich die Parteien zukunftsicher etabliert.

Wichtige Anliegen der Bevölkerung (mehr Bürgerbeteiligung bei elementaren, den Staat unmittelbar berührenden Fragen wie EU-Erweiterung oder Lissabon-Vertrag) interessieren ebenso wenig wie die Wahlbeteiligung. Zudem fehlen die integeren, charismatischen Politikerpersönlichkeiten, die ihre Überzeugungen und Absichten glaubwürdig vertreten können.''

Hans Holst Berlin

© SZ vom 24.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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