30. Mai 2009:Sechzehn Wege zum Abschluss

Lesezeit: 3 min

Einser, Englisch und Elternabende: SZ-Leser diskutieren, ob Kultusbeamte und Lehrer oder die Eltern zu viel von ihren Kindern verlangen.

Zum Beitrag " Am Start" (16./17. Mai) über den Übertritt von der Grundschule zum Gymnasium schreiben Leser:

Ist schon die Grundschule zu anstrengend für die Kinder? Oder werden sie vielmehr von den Eltern überfordert? (Foto: Foto: dpa)

"Wer schreibt mir denn vor, mein Kind aufs Gymnasium zu schicken? Doch nicht das bayerische Kultusministerium, das mir mit dem dreigliedrigen Schulsystem und der Fach- oder Berufsoberschule etwa 16 Möglichkeiten anbietet, zu einem Schulabschluss zu gelangen! Nein, die anderen Eltern üben Druck auf mich aus, indem der allgemeine Hype des Gymnasiums als einzig möglicher Schulform auch an mir gewisse Zweifel schürt, ob mein Kind denn auf der Realschule wirklich gut aufgehoben ist.

Wer sagt mir denn, dass mein Kind Englisch im Kindergarten haben muss? Doch nicht der Kultusminister und auch nicht die weiterführende Schule, die mit ausgebildeten Englischlehrern (und nicht mit einer Grundschullehrerin, die an einer einwöchigen Fortbildung teilgenommen hat) meinem Kind die Grundlage und Freude an der Fremdsprache vermitteln. Nein, es sind die anderen Eltern, die dadurch einen Wettbewerbsvorteil für ihre Kinder sehen. Wer einmal eine Englischstunde im Kindergarten miterlebt hat weiß, dass sie völlig nutzlos für den Spracherwerb ist.

Wer schreibt meinem Kind denn vor, dass nur die Eins eine passable Note ist? Doch nicht der Direktor der weiterführenden Schule, der mein Kind auch mit einer Drei im Übertrittszeugnis und sogar zweimal der Note Drei für die Realschule akzeptiert. Nein, es sind die Eltern, die auf uns herabblicken.

Wer verlangt von mir, mich im fast wöchentlichen Rhythmus zu Elternabenden zu treffen? Doch nicht die Grundschullehrerin meiner Kinder, die froh ist, wenn sie wenigstens am Abend Ruhe vor den Eltern hat, die jeden Morgen im Klassenzimmer stehen, weil sie ihr Kind in das Zentrum des Interesses gerückt haben. Wenn wir Eltern uns nur davon lösen könnten, ständig auf die anderen Eltern zu schielen und uns stattdessen ganz auf unsere Kinder und ihre Bedürfnisse zu konzentrieren!" Karin Tyroller Wörthsee

Nützliche Briefe

"Genüsslich zieht Herr Matzig Büchergeld, Ausflüge, Briefverkehr durch den Kakao. Übersehen hat er, dass es inzwischen kein Büchergeld mehr gibt. Und wie sollen Ausflüge - oft von den Eltern gewünscht - nur von einer Lehrkraft betreut werden? Soll aus Steuergeld eine zusätzliche Begleitperson finanziert werden? Soll eine andere Lehrkraft abgezogen werden, damit in einer anderen Klasse der Unterricht ausfällt? Und der gerügte Briefverkehr zwischen Schule und Eltern trägt doch zur Information bei."

Elisabeth Storch München

Elite unter sich

"Weiß denn Schülerinnen-Vater Matzig tatsächlich nicht, dass seine Tochter schon von der Statistik her auf der sicheren Seite ist? Dass sein Gejammere sich wohl lediglich um das sprichwörtliche 'Ballett oder Reiten' dreht? Dass man im Grunde und wieder einmal sehr gemütlich unter sich ist und vor allem bleibt? Und dass umgekehrt genauso sicher ist, dass jene anderen Kinder, die für unseren repräsentativen Privilegierten offensichtlich überhaupt nicht existieren, ausgesondert werden? Gedankenlosigkeit, Zynismus?"

Helmut Rasp Landshut

Frustriert in die Hauptschule

"Ich gratuliere zu diesem ausgezeichneten, scharfsinnig formulierten Beitrag. Als Leiter einer Münchner Hauptschule leiden wir sehr unter der Stigmatisierung durch die Eltern (und auch der Grundschulen). In unsere 5. Klassen kommen entmutigte Kinder, die wir erst einmal wieder aufbauen, sodass sie erleben, dass Schule auch Spaß machen kann.

Unsere Lehrer stemmen alles selbst, mit Hilfe von ein paar treuen Ehrenamtlichen. Wir haben einen Migrationsanteil von 80 Prozent, Staat und Stadt lassen uns allein, wir wissen nicht mehr, wo wir die Kinder unterrichten sollen, weil der Platz für Grund- und Hauptschule in einem Gebäude nicht mehr reicht. Das Schulreferat erzählt öffentlich, die Grundschule will keine Ganztagesklasse; sie will schon, hat aber keinen Platz für die Unterbringung."

Jürgen Walther München

Zwischen Entmündigung und Überforderung

"Auch wir erleben an unserer Schule eine Mischung aus gleichzeitiger (Über-)Forderung und Entmündigung als Eltern. Einerseits ist schulischer Erfolg ohne massive Unterstützung der Eltern gar nicht mehr möglich, auf der anderen Seite bekamen wir am ersten Klassenabend zu hören, wir möchten unserem Kind bitte nicht das Multiplizieren beibringen, da man das heutzutage ganz anders vermittle.

Schlimmer noch aber scheint mir der beschriebene Leistungsdruck, der dazu führt, dass unser Zweitklässler gelegentlich jetzt schon weinend am Tisch sitzt und sich für das dümmste Kind in seiner Klasse hält. Spätestens hier sehe ich uns Eltern gefordert, unseren Kindern massiv den Rücken zu stärken und die Schulen zum Dialog aufzufordern, was da schief läuft. Unzufriedene Eltern kenne ich reichlich - wenn ich aber gemeinsames Handeln anrege, versiegen die Klagen, aus Furcht vor Sanktionen für das eigene Kind."

Dr. Doerthe Winter München

© SZ vom 30.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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