28. Mai 2009:Wie es euch gefällt

Lesezeit: 6 min

Im Steuerstreit wird mit unterschiedlichen Zahlen hantiert - dabei gibt es verlässliche Kriterien. SZ-Leser diskutieren zum Thema Steuermärchen.

Zum Kommentar " Das Gegenteil von Wahnsinn" (16./17. Mai):

Alles nur Märchen? SZ-Leser diskutieren über Kennziffern in Steuerfragen. (Foto: Foto: dpa)

"Marc Beise bürstet gegen den Strich der Debatten - das fällt auf und ist mutig. Die Debatten für und gegen Steuersenkungen haben jedoch einen zentralen Mangel: Jeder greift sich jeweils die Zahlengröße und das Argument heraus, das ihm gerade passt. Mal ist es die Billionenziffer der deutschen Gesamtverschuldung, mal sind es die Kriterien des Grundgesetzes für die Haushaltsführung, mal die Kriterien der Europäischen Union oder ganz allgemein Argumente der'gefühlten Gerechtigkeit'. Dabei gibt es drei ziemlich verlässliche objektive Kennziffern, die man zuvor kennen sollte, wenn man Steuerfragen beurteilen will. Es sind die Kennzahlen über eine 'Haushaltsnotlage', die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat - zuletzt begründet und erläutert im Urteil vom 19. Oktober 2006, durch das der Anspruch des Bundeslandes Berlin auf eine 'Sanierungshilfe' verneint wurde.

Diese drei Kriterien und Kennzahlen sind erstens die Kreditfinanzierungsquote, zweitens die Zins-Steuer-Quote und drittens der Primärsaldo (Differenz zwischen Steuereinnahmen und bereinigten Ausgaben). Anhand dieser Rechengrößen - jeweils aktuell und mit Blick auf die Vergangenheit - könnte jeder erwachsene Steuerbürger einen nüchternen Blick auf die aufgeregten Debatten tun.

Der Primärsaldo zum Beispiel gibt unzweideutig darüber Auskunft, ob Bund und Länder - unabhängig von Sondereinflüssen - mit ihren Einnahmen auskommen (könnten) oder aber über ihre Verhältnisse leben beziehungsweise in einem bestimmten Jahr die Grenzen überschritten hatten oder nicht. Die Zins-Steuer-Quote, die teilweise, beim Bundeshaushalt, die 20-Prozent-Marke erreicht hatte, sagt sehr viel darüber aus, wie viel von den direkten und indirekten Steuern eines jeden Steuerpflichtigen in den Staatsausgaben wirksam geworden und wie viel - sofort nach Überweisung an die Steuerämter - in die Finanzindustrie geflossen sind.

Es ist deprimierend zu sehen und zu erkennen, dass die politischen Weichenstellungen in der Haushaltsgestaltung mit dazu geführt haben, dass sich die Banken brüsten konnten, zweistellige Renditen zu erwirtschaften. Wer dem Bund oder den Ländern Geld leiht, hat aufgrund der Zins-Steuer-Quote keine Mühe, sichere zweistellige Kapitalrenditen für die mittelfristige Zukunft abzuschätzen. Es ist nicht der Vorstandschef der Deutschen Bank allein, der die Geschwindigkeit macht; die 'Gier' des Staates nach Krediten zur Befriedigung von Wünschen des Volkes hat den 'Raubtierkapitalismus' (Helmut Schmidt) ebenso gefüttert wie andere unethische Exzesse der zurückliegenden Jahrzehnte.

Einem weiteren Argument möchte ich widersprechen: Dass die nachfolgenden Generationen die Zinsen und Tilgungen der gegenwärtigen 'Schuldenmacherei' in Bund, Ländern und Kommunen abzutragen hätten. So etwas zu behaupten, ist doch Unfug. Wenn Bund und Länder jetzt einen Haushaltskredit aufnehmen, so wird selbstverständlich die Annuität dieser Kredite von den gegenwärtig lebenden Generationen bedient. Nur die Restschulden obliegen den Kindern und den Enkelinnen."

Ulrich Dröge Hannover

Konjunktur ankurbeln mit Sparbüchern

"Sicher hat Marc Beise recht, dass nur eine prosperierende Wirtschaft dem Staat Steuermehreinnahmen bringt. Es ist jedoch höchst zweifelhaft, ob Konjunktur und Konsum durch Steuergeschenke angekurbelt werden können. Darin sind sich ja auch Sachverständige uneinig. Unabhängig davon, dass die Bundesbürger seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse leben (Ludwig Erhard: 'Den Gürtel enger schnallen'), sollten Anreize geschaffen werden, dass die erheblichen privaten Sparvermögen zur Belebung der Konjunktur eingesetzt werden könnten. Im privaten Haus- und Wohnungsbestand besteht sicherlich ein großer Modernisierungsbedarf."

Alexander Tomm St. Ingbert

Der Staat muss Schulden machen

"Fast täglich kann man kritisches Wehklagen über die exorbitante Aufblähung der Staatsschulden lesen, hören und fernsehen. Besonders gerne wird dabei auch die schon reichlich abgedroschene Floskel bemüht, die heutige Generation versündige sich in unverantwortlicher Weise an den nach uns folgenden Generationen, die unsere Staatsschulden einmal würde bezahlen müssen.

Doch es macht einen grundsätzlichen Unterschied, ob ein Staat Schulden macht oder eine Privatperson. Eine Privatperson muss in aller Regel aufgenommene Schulden irgendwann wieder tilgen samt Schuldzinsen. Grundsätzlich muss das auch der Staat, will er seine Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen. Dabei kommt es jedoch entscheidend auch auf makroökonomische Rahmenbedingungen an. In wirtschaftlichen Krisensituationen wie der gegenwärtigen, in denen die Privatwirtschaft unter akutem Geldmangel leidet, weil die Banken mauern, auch untereinander - keine traut mehr der anderen und den Unternehmen der Realwirtschaft sowieso nicht -, ist der Staat zwingend gefordert, durch klassisches 'deficit spending' die Wirtschaftskreisläufe am Leben zu erhalten. Alles andere ist absolut unverantwortlich, weil die Gefahr des gesamtwirtschaftlichen Kollapses einfach zu groß wäre mit katastrophalen Folgen für das Staatswesen insgesamt.

Die Situation ist vergleichbar mit einem Notfallpatienten mit Herzstillstand. Der Notarzt wird die Wiederbelebung sofort mit kräftigen Stromstößen einleiten und diese dann sofort absetzen, wenn das Herz wieder schlägt. In Analogie dazu ist Merkels Konjunkturpaket zu vergleichen mit Kriechströmen, die keinen Toten mehr zum Leben erwecken."

Klaus Kolankowski Mondsee / Österreich

Münchhausens Steuermärchen

"Natürlich hilft es der Konjunktur, wenn die Steuern gesenkt werden. Aber die Behauptung, Steuersenkungen würden soviel Wachstum generieren, dass trotz sinkender Steuersätze ein Steuermehrertrag generiert würde, ist genauso lächerlich wie Münchhausens Geschichten. Sie ist durch nichts belegt - aber so unbestimmt (welche Steuer soll in welchem Maße reduziert werden?), dass man sich immer gut herausreden kann, wenn es mal wieder nicht geklappt hat. Nach dem Bankenwahnsinn können wir uns nicht auch noch wahnsinnige Politiker leisten."

Bernd Mielke Dortmund

Die einzigen gangbaren Lösungen

"Herr Beise schreibt wieder, wie so viele seiner Kollegen, dass Deutschlands Schulden irgendwie irgendwann zurückgezahlt oder zumindest bedient werden müssen. Das ist Unsinn, weil

a) In nächster Zeit noch viel mehr Schulden gemacht werden b) dieser Schuldenberg dann so drückend sein wird dass er nicht mehr bedient und schon gar nicht mehr zurückgezahlt werden kann.

Die einzigen gangbaren Lösungen sind entweder eine längere, hohe Inflation oder eine Währungsreform wobei ersteres eigentlich nicht in Frage kommt, weil bei hoher Inflation die Zinsen stark steigen, die der Markt für Anleihen verlangen wird und die Anleihen abverkauft werden (Staatsanleihen Crash). Es bleibt also nur die Währungsreform als Lösung übrig. Ich bin enttäuscht, dass bei Ihnen niemand Gedanken dieser Art schreibt, aber das wird sich noch ändern, aber dann wird es als Warnung für Ihre Leser zu spät sein."

Frank Eschenbacher Kissing

FDP pur

"Nach der Unterzeile 'warum es doch richtig ist, die Steuern zu senken', habe ich endlich Argumente erwartet, wieso es möglich sein soll, trotz Riesenschulden Steuern zu senken. Was lese ich (nach einleitenden Überlegungen): es bedürfe eines dritten Konjunkturpakets mit Investitionshilfen für Unternehmen (das kann ich verstehen, ob es richtig ist, sei dahingestellt) und Steuerentlastungen für den Bürger - ohne jede Begründung! Einfach so. Das sei der Grund, weshalb Steuersenkungen versprochen werden sollten.

Sie geben sich noch nicht einmal die Mühe, irgendwelche Begründungen zu liefern, Sie sagen einfach, so ist es. Das ist doch durchaus zu diskutieren, z.B.: Einkommenschwache würden Steuerentlastungen zu 100% konsumieren - aber leider zahlen die gar keine (oder fast keine) Steuern. Einkommensstarke: denen sind solche Entlastungen völlig egal, die kaufen deshalb keinen dritten Mercedes. Aber der Mittelstand! Der könnte vielleicht dann mehr konsumieren, täte er's?

Aber auf jeden Fall hätte der Staat Steuerausfälle = macht noch mehr Schulden, zu Lasten auch der kleinen Einkommen und späterer Generationen. Aber Sie liefern eine Begründung: der Staat habe immer stärker in die Freiheit der Bürger eingegriffen. Er hat ein riesiges Wohlfahrtssystem entwickelt = nach Ihrer Logik ist das ein Eingriff in die Freiheit! Bitte? Wenn man Bedürftigen hilft, greift man in ihre Freiheit ein? Das ist unglaublicher Neo-Liberalismus, wer sich helfen läßt, gibt seine Freiheit auf. 'Es ist Arm und Reich gleichermaßen erlaubt, unter Brücken zu schlafen'.

Und: der Mittelstand ist immer weiter belastet worden, u.a. durch Streichung von Steuervergünstigungen. Nur zur Klarstellung: zunächst müssen alle gleich Steuern zahlen, wenn man Vergünstigungen gewährt aus irgendwelchen Grünen, dann kann das richtig sein. Wenn man solche Vergünstigungen abbaut, kehrt man zru Normalität zurück. Vergünstigungen sind keine Maßnahmen, auf die man einen Anspruch hat.

Die Wirtschaftsredaktion der SZ ist bekannt für ihre neo-liberale Grundhaltung. Ein paar Wochen lang hielten sich das Trio infernale Pieper/Schäfer/Beise zurück, weil ihnen angesichts der Katastrophen die Argumente ausgegangen waren. Jetzt kommt wieder die alte Linie zum Vorschein, man muß nur den Begüterten mehr geben, dann kommt alles wieder in Schwung. FDP pur. Es ist wirklich ein Jammer, daß der SZ-Wirtschaftsredaktion nichts anderes einfällt, als wieder nach mehr Geld für die Besserverdienenden zu rufen. Das ist dem Niveau der SZ wirklich nicht angemessen!"

Eberhard Drück Wachtberg

Plus minus Null

"Zu hohe Staatsschulden sind von Übel. Und deshalb ist es unverantwortlich, in der gegenwärtigen Situation den Wählern weitere Steuersenkungen zu versprechen, die nur über höhere Staatsschulden zu finanzieren wären.

Doch worin liegt das Übel? Es mag überraschen, aber die landläufige Vorstellung, Staatsschulden seien deshalb eine Bürde für die nächste Generation, weil diese im Ergebnis die Schulden 'erbe' ist falsch oder zumindest unvollständig. Bei dieser Sicht bleibt außer Betracht, dass die nächste Generation zugleich auch 'Erbengeneration' ist, an die dann der Staat die bei den Eltern aufgenommenen Kredite zurück zahlt. Insgesamt gesehen erbt die nächste Generation bei einer internen Verschuldung also zugleich Schulden und Forderungen: 'Plus minus Null'.

Das heißt nun nicht, dass Staatsschulden gänzlich unoroblematisch wären. Im Gegenteil: Diskutiert wird z.B., dass die Kreditnachfrage des Staates höhere Zinsen zur Folge haben und auf diese Weise produktive private Investitionen verdrängen kann. Diese Sorge ist derzeit aber wohl eher unbegründet.

Bedenklich erscheint vielmehr der mit einer zunehmenden Staatsverschuldung einhergehende Verlust der Handlungsspielräume der öffentlichen Hände bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben wegen der Belastung durch den Schuldendienst. Und die Folgen davon treffen vor allem diejenigen, die nicht erben, also die 'kleinen Leute'."

Will Frank Bonn

© SZ vom 29.05.2009/sus/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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