27. März 2009:Herren über Leben und Tod

Lesezeit: 3 min

Ist das Selbstbild deutscher Mediziner überholt? Werden Patienten zu Spielbällen der Geräteanwendungen? SZ-Leser diskutieren.

"Man kann Prof. Borasio nur dankbar sein für seine hellsichtigen Ausführungen aus der Sicht des Palliativmediziners. Er hat dabei seinen sehr pragmatischen Blick auf die wesentlichen Beteiligten des Sterbevorgangs gerichtet: auf den Sterbenden, seine Angehörigen und Betreuer, die Ärzte und Pfleger. Ihnen hilft im Zweifel nicht die akademische Debatte über metaphysische, religiöse und ethisch-moralische Aspekte des Sterbens - auch wenn sie geführt werden muss. Was sie aber noch mehr brauchen, ist Verhaltenssicherheit auf der Basis umfassender palliativmedizinscher Ausbildung und rechtlicher Aufklärung. Daran fehlt es derzeit noch sehr.

Diskussion: Sterbehilfe als Patientenrecht? (Foto: Foto: Heddergott)

Borasio erklärt beispielhaft und in einfachen Worten, was es mit elementaren physiologischen Vorgängen beim Sterben ("Verhungern, Verdursten, Ersticken") auf sich hat, und welche medizinischen und pflegerischen Maßnahmen zwar als gut gemeint gelten dürfen, aber leider eindeutig kontraindiziert sind (Sauerstoffgabe, künstliche Ernährung über Bauchsonde, Flüssigkeitsinfusion). Er zeigt die Ängste von Ärzten und Pflegekräften auf, sich eventuell strafbar zu machen, wenn sie "zu wenig" für den Patienten tun.

Hinzufügen möchte man eines: Noch immer setzen sich Ärzte teilweise nicht aus Angst vor Strafe über Patientenverfügungen hinweg. Vielmehr lassen sich mitunter sogar namhafte Mediziner mit ihrer Meinung zitieren, so etwas wie "vorrangiger Patientenwille" interessiere sie überhaupt nicht. Und zwar auch dann, wenn dies haarscharf vorbei zielt an der rechtzeitig bekundeten Entscheidung des Patienten für ein selbstbestimmtes Sterben mit umfassender palliativmedizinischer Begleitung. Zum Ausdruck kommt darin ein überholtes Festhalten an der Rolle des Arztes als "Herr über Leben und Tod", verantwortlich nur seinem hypokratischen Eid, wie er ihn versteht. So manchem Arzt fehlt hier jeglicher Zugang zu einem Paradigmawandel, der längst stattgefunden hat, wie die große Verbreitung von Patientenverfügungen dokumentiert.

Dies verunsichert auch andere Ärzte, die "eigentlich" den Patientenwillen beachten wollen, aber sich, etwa im Rahmen einer Krankenhausabteilung, von Vorgesetzten und Kollegen bedrängt fühlen und sich letztlich dem Druck einer nur auf Sterbeverlängerung hinauslaufenden intensivmedizinischen Behandlung des Patienten nicht entziehen. Verunsichert werden auch diejenigen, die für sich selbst Vorsorge treffen wollen durch eine möglichst wasserdichte Patientenverfügung. Der beratende Anwalt kennt die Frage seines Mandanten: "Können Sie mir auch hundertprozentig garantieren, dass sich die Ärzte im Falle des Falles auch an meinen Willen halten werden?"

Ärzten, Patienten und Angehörigen kann der Medizinrechtler nur eines raten: Lasst euch nicht verunsichern durch Drohungen mit Nachteilen, Strafanzeigen oder gar unterinstanzliche Gerichtsentscheidungen! Wird der konkret erklärte Patientenwille missachtet, bestehen beste Aussichten, dies durch Rechtsmittelgerichte korrigieren zu lassen. Ein langer mühsamer Weg im Einzelfall? Mag sein; aber das Selbstbestimmungsrecht des mündigen Bürgers muss ihn uns wert sein!"

Dr. Werner Klughardt München

Wichtig wie das Testament

"Herr Borasio weist glücklicherweise darauf hin, dass die lebenserhaltenden und lebensverlängernden Maßnahmen mit Entzündungen und Schmerzen verbunden sind. Die kirchlichen und politischen Entscheidungsträger lassen dies offensichtlich außer Betracht. Da die betroffenen Patienten oftmals sich nicht mehr äußern können, werden sie aber zum Spielball der Geräteanwendung. Mit der Vorsorge beauftragte Verwandte aber ziehen den verantwortlichen Ärzten gegenüber als Laien meist den Kürzeren. Als selbstbestimmende Bürgerin darf ich aber fordern, dass meine Patientenverfügung ohne Wenn und Aber befolgt wird, genauso wie mein Testament.

Ein achtzigjähriger Bekannter wurde nach schwerem Schlaganfall und Sprachverlust in Krankenhaus, Rehaklinik und danach Pflegeheim mit Magensonde und Katheter versorgt. Wegen der offensichtlichen Beschwerden zog er sich mehrmals diese Schläuche heraus, weil er in Ruhe vom Leben Abschied nehmen wollte; doch ohne Erfolg, denn sie wurden ihm wieder angelegt und er durfte noch einige Zeit leiden. Im Übrigen ist die Pflege auch in guten Heimen wegen der Terminierung der Arbeiten nicht hervorragend, weshalb sich die Patienten öfters aufliegen, was auch schmerzhaft ist. Meine Mutter hatte sich vor Jahren im Pflegeheim am Steiß ein faustgroßes Loch eingehandelt.

Jetzt werden immer wieder die Palliativstationen als Hilfe für die zu Pflegenden angepriesen. Aber auch hier ist schmerzloses Sterben nicht immer gewährleistet. Eine Cousine, die an Lungentumor und Knochenmetastasen litt, war in der Palliativstation eines guten Krankenhauses und bekam Morphium, was aber nicht so viel brachte, weshalb sie, erfolglos, um aktive Sterbehilfe bat. Warum hilft man einem nicht zu rettenden und leidenden Menschen nicht zum raschen Tod? Ist das christliche Menschenfreundlichkeit?

Als ich bei einem Arzt die Problematik der Lebensverlängerung ansprach, sagte er, es gehe um Arbeitsplätze. Deshalb sollen also die Patienten möglichst lang leiden. Um es deutlich zu sagen, es geht ums Geld und nicht um Fürsorge oder den lieben Gott. Ich kann nur Prof. Friedrich Wilhelm Graf beipflichten, der im Februar anregte, das Leben in Gottes Hände zurücklegen zu dürfen, wenn man es nicht mehr erträglich findet. Nicht aus humanen, sondern wirtschaftlichen Gründen wollen dies manche Organisationen verhindern. Daher nimmt die Zahl der Selbstmorde im Alter zu, weil die Menschen dies nicht hinnehmen wollen."

Irene Bargou Ostrach

Es bleibt grauenhafte Angst

"Es liest sich wie ein weiteres Kapitel aus "Dr. Jekyll and Mr. Hyde". Nur ist keine literarisch-fiktive Distanzierung möglich. Es kann mich jetzt und hier und heute aufs Fürchterlichste betreffen. Und das in einem Land, das sich für hoch entwickelt und zivilisiert hält und stolz ist auf seine (christlichen) ethischen und moralischen Standards.

Ich werde den Artikel möglichst bei mir tragen in der bangen Hoffnung, dass er nicht sofort beleidigtes Reagieren und Blockieren hervorruft, sondern vielleicht auf wundersame Weise und ganz schnell fehlender Kompetenz auf die Sprünge verhilft... Was bleibt, ist grauenhafte Angst."

Helmut Rasp Landshut

© SZ vom 27.03.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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