27. Februar 2009:Ein schlechter Faschingsscherz

Lesezeit: 4 min

SZ-Leser über den Vorschlag von Annette Schavan, Experten aus der Wirtschaft in der Schule einzusetzen und Rostock als Studienort.

" Schavan bringt Lehrer gegen sich auf", 24. Februar

Bildungsministerin Annette Schavan hat mir ihrem Vorschlag, Experten für die Bildung einzusetzen, für viel Diskussion gesorgt. (Foto: Foto: AP)

Ein altes Bild von Schule

"Der Zeitpunkt der Aussage von Frau Schavan lädt natürlich ein, ihren Vorschlag Top-Mitarbeiter stundenweise in Schulen einzusetzen als Faschingsscherz abzutun. Zumal sie in ihren Ausführungen sehr unpräzise bleibt. Sollte etwa Herr Zumwinkel über die Bedeutung von Steuern für die Gesellschaft lehren?

Doch am Aschermittwoch ist bekanntlich alles vorbei. Nur der Katzenjammer bleibt in diesem Fall. Katzenjammer, weil Frau Schavan mit der vollständigen Übertragung der Schulpolitik auf die Länder auch ihren Sachverstand abgegeben zu haben scheint. In der Sache offenbart die Bundesbildungsministerin erschreckende Mängel, was die Anforderungen an moderne Schulentwicklung anbelangt.

Mit ihrer Forderung signalisiert sie vordergründig ihre Haltung, dass 'das bisschen Schule doch kein Problem' sei. Moderne Schulentwicklung ist aber mehr als das stundenweise Entsenden einiger Fachleute, die mehr oder weniger interessierte Schülerinnen und Schüler in einem rhetorisch brillanten Fachvortrag ihr Wissen präsentieren und danach wieder in das 'richtige Leben' zurückkehren.

Moderne Schulentwicklung ist neben Organisations- und Personalentwicklung vor allem Unterrichtsentwicklung. Dafür benötigen Schulen Lehrkräfte, die neben dem Fachwissen über besonders große Kompetenzen in schüleraktivierendem Unterrichten und maßgeschneidertem Fördern verfügen und diese Kompetenzen stetig erweitern. Voraussetzung hierfür sind Lehrkräfte, die sich nicht nur stundenweise in die Schulniederungen herablassen, sondern ganztägig in Teams für und mit den Schülern zusammenarbeitet.

Eigentliche Ursache für Schavans Vorstoß scheint eine Studie von 1997 zu sein, wonach Lehrer häufig nur ein durchschnittliches Abiturergebnis erzielt haben. Dies zeigt, wie sehr Frau Schavan noch dem alten Bild von Schule verhaftet ist.

Wenn ich an mein eigenes - ich gestehe! durchschnittliches - Abitur denke, so steht dies eigentlich nur dafür, was heute landläufig als Bulimie-Lernen bezeichnet wird: Wer am besten bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eine große Menge an Wissen angehäuft hat und diese dann von sich gibt und danach für immer vergessen kann, erhält die beste Note. Die Aussagekraft dieser Note über die pädagogische Eignung geht gegen Null. Hier sind die Auswahlgespräche einiger Universitäten für angehende Lehramtstudenten der Sache dienlicher als Schavans Vorstoß.

Wenn nun der Kater verflogen ist, sollten alle Bildungsverantwortlichen in diesem Land zum Dialog zurückkehren und (nicht nur in Sonntagreden oder auf Bildungsreisen) dafür kämpfen, dass eine gerechtere und bessere Bildung für alle Menschen erreicht werden kann."

Stefan Stettner, München

Probleme, die wir uns leisten

"Die Bundesbildungsministerin hat mit ihrer Idee weder einen 'Faschingsscherz' noch einen 'PR-Gag' abgeliefert - leider. Die Idee zeigt vielmehr auf, worum es wirklich geht: um Kosteneinsparung. Denn mit 'Freistellung' ist ja wohl gemeint, daß die Ingenieure und 'Manager', die da 2 Stunden unterrichten sollen, das Gehalt dafür weiterhin von ihren Firmen bekommen sollen. Oder soll's ehrenamtlich sein?

Ein Ingenieur um die 50 Jahre darf mit einem Jahresgehalt von 80.000 € brutto aufwärts taxiert werden, ein "Manager" ist schwerer zu schätzen: das reicht vom 'Projektmanager' (60.000 bis 90.000 €) über gestandene Geschäftsbereichsleiter in Großfirmen mit 150.000 € bis hin zu Herrn Dr. Ackermann.

Ein voll qualifizierter Lehrer hingegen beginnt heute mit knapp 40.000 € (wenn er verbeamtet wird, wenn er nicht mehr verbeamtet wird, also angestellt wird, ebenfalls: allerdings bekommt der Angestellte etwa 30% oder 7000€ weniger netto - aber das ist eine andere Geschichte).

Es fällt nun schwer anzunehmen, daß die Ingenieure und Manager bereit sind, stundenweise Unterricht für die Hälfte ihres normalen Gehaltes zu erteilen. Es fällt ebenso schwer anzunehmen, daß der Staat eine von einem Ingenieur oder Manager erteilte Schulstunde doppelt so hoch bezahlt wie die eines Lehrers.

Das, was in der Marktwirtschaft vollkommen normal ist, daß nämlich bei Arbeitskräftemangel in bestimmten Feldern die Gehältern steigen (und andersherum), wurde im Schulwesen bisher immer brüsk abgelehnt - es würde den 'Frieden stören', wenn Mathelehrer mehr verdienen wie Geschichtslehrer. Ganz und gar undenkbar!

In der Wirtschaft geht das komischerweise: man betrachte nur einmal die Gehaltsentwicklung von SAP-Beratern, die rauf und auch wieder runter ging. Und man umschleicht sich auch nicht in den Büros mit Häme und giftigem Blick. Die Bundesbildungsministerin appelliert also an die Firmen, deren Ingenieure und Manager ja in der momentanen Krise nichts zu tun haben, das Schulwesen zu sponsoren, diesmal nicht mit 'buy-a-classroom' oder neuen Trikots, sondern eben über Freistellung von Mitarbeitern.

Abschließend ein Blick in die praktische Umsetzung des Schavan'schen Vorschlags. Dort heißt es: '2 Stunden Mathe oder Physik'. Mathe hat in den meisten Klassen 4 oder 5 Stunden die Woche. Das heißt dann also, daß davon 2 Stunden ein Ingenieur, die anderen ein Lehrer erteilt. Glänzende Idee.

Sollen dann die Ingenieure und Manager also um 10:00 sich aus der Besprechung ausklinken, zur Schule fahren (wer zahlt? Versicherung?), dort von 10:30 bis 11:15 eine Stunde geben, und dann wieder zurück? Ich kann ziemlich genau vorhersagen, was meine Firma davon halten würde - dasselbe wie ich.

Vorbereitung und Korrektur: das bisschen Arbeit kann man doch prima während der langweiligen Besprechungen machen. Lehrer - kann doch jeder. Und das ist das für mich eigentlich Erschütternde: die Wertschätzung der Arbeit der eigenen Mitarbeiter durch den obersten Dienstherrn. Für mich ist es nachvollziehbar, daß immer weniger Leute diesen Beruf wählen. Wir haben genau das Schulsystem und exakt die Probleme, die wir uns leisten."

Gerd Oldekop, Spardorf

Medizinstudium in Rostock

" 'Tut uns leid, wir haben nur noch Rostock' - diese Überschrift in der Süddeutschen Zeitung vom 13.02.2009 ließ zunächst vermuten, dass es um den Studienort Rostock geht. Aber inhaltlich ging es um die deutschlandweite Vergabe von Studienplätzen für die 36 Medizinischen Fakultäten. Und dabei ist Rostock sicher kein Schlusslicht.

Jährlich bewerben sich mehr als 4000 Studierende um einen Studienplatz an der Medizinischen Fakultät Rostock. 280 Studenten erhalten einen Studienplatz, davon 220 für Humanmedizin. Die 4 Studienrichtungen Humanmedizin, Zahnmedizin, medizinische Biotechnologie und Biomedizintechnik spiegeln auch den aufstrebenden Forschungsschwerpunkt der Regenerativen Medizin und Medizintechnik in Rostock wieder.

Als kleine Fakultät zeichnet sich die Medizin in Rostock durch ein sehr gutes Betreuungsverhältnis und eine hohe Absolventenquote von ca. 70 % aus. Die Ergebnisse der Rostocker Medizinstudenten beim Physikum sind seit Jahren deutschlandweit hervorragend und der Hartmannbund zählte 2005 die Medizinerausbildung in Rostock zu den fünf Besten in Deutschland."

Prof. Dr. med. Emil C. Reisinger, Dekan der Med. Fakultät Rostock

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