25. Juni 2009:Am Pranger

Lesezeit: 4 min

Müssen sich Lehrer bewerten lassen? SZ-Leser diskutieren über das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Internetseite spickmich.de.

Zum Urteil des Bundesgerichtshofs über die Internetseite spickmich.de ("Schüler dürfen Lehrer benoten" und " Das Internet als Kneipe, Klo und Klassenzimmer", 24. Juni) schreiben Leser:

Verkommt das Internet durch Seiten wie spickmich.de zum Pranger? SZ-Leser diskutieren. (Foto: Foto: dpa)

"Es erscheint in diesem Zusammenhang etwas sonderbar, dass man als Lehrer in einem Abschlusszeugnis keine Bemerkungen über Mitarbeit und Verhalten eines Schülers eintragen darf. Dabei wäre dies eine kompetente Aussage, bei der sogar nachvollzogen werden kann, wer diese erstellt hat. Man kann es nur dummdreist bezeichnen, wenn die Betreiber von Spickmich behaupten, dass sich nur Schüler auf ihrer Seite eingeloggt haben. Als Personalrat muss ich zudem sagen, dass Spickmich bestimmt nicht unserem Betriebsfrieden dienen wird. Zum Beispiel stehen beliebte Lehrer leider schon heute oft genug in dem Ruf, nur beliebt zu sein, weil sie sich bei den Schülern anbiedern.

Spickmich trägt also wie viele vergleichbare Seiten dazu bei, dass das Internet weiter zum Pranger verkommt, wo jeder jeden mit Schlamm bewerfen kann. Ich dachte, dass wir die Sitten des Mittelalters eigentlich hinter uns gelassen haben. Heutzutage wird unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit und des scheinheiligen Ja-nur-informieren Wollens auf den 'Prangerseiten' im Internet lediglich nur nach Profit gestrebt.

Apropos Informationen über Schulen: Es ist auch ohne Internet möglich, sich über Schulen zu informieren. Man muss nur mal mit Nachbarn, Freunden, ehemaligen Schülern oder Elternbeiräten reden. Spickmich liegt in diesem Zusammenhang leider nur im allgemeinen Trend, dass man vorgegaukelt bekommt, soziale Kontakte zu pflegen, unverbindlich, bequem, anonym und eventuell unter falschen Angaben."

Stefan Baron Rückersdorf

Lieber eine persönliche Rückmeldung

"Wie auch ich wollen viele Kollegen Rückmeldung von den Schülern erhalten und geben ausführliche Rückmeldebögen an die Schüler aus, da leider ohne diese Aufforderung viel zu selten Kritik von Schülern geäußert wird. Diese Hinweise sind eine sehr wertvolle Hilfe, um den eigenen Unterricht zu überdenken und zu verbessern. Schon im Referendariat wird auf diese Möglichkeit hingewiesen und Muster-Fragebögen vorgestellt. Diese können freiwillig mit Namen versehen werden, sodass auch eine anonyme Rückmeldung möglich ist. Auf der anderen Seite kann auch Zivilcourage gefördert werden, wenn die Schüler nach einer persönlichen Kritik erkennen, dass diese keinerlei Nachteile für sie bedeutet, sie aber auch den Unterricht ihres Lehrers positiv beeinflussen können.

Das Portal Spickmich möchte ja nach eigenen Angaben auch die Unterrichtsqualität verbessern. Dies kann aber nur schlecht gelingen, wenn Rückmeldungen nicht bei den Lehrern ankommen (die ja zum Glück nicht verpflichtet sind, ständig alle vorhandenen Internetportale zu besuchen). Da ist mir eine direkte und möglichst persönliche Rückmeldung deutlich lieber, die zudem konstruktivere Eigenschaften (etwa: gut vorbereitet, geht gut auf Schüler ein) enthalten als cool oder witzig."

Holger Nachtigall Sachsenried

Millionenfach benotet

"Noten sind Werturteile, und Werturteile gibt jeder Mensch täglich zu Dutzenden ab, freilich nicht in Form von Zahlen, sondern in Form häufig subjektiv urteilender Sätze: 'Du siehst gut aus' oder 'Sie kommen wieder einmal zu spät' oder 'Dein Zimmer ist wieder einmal nicht aufgeräumt': Werturteile in Form von Zahlen haben vor allem ihren Platz in der Schule, der Erziehungswissenschaftler Rainer Winkel hat errechnet, dass alleine in Deutschland jährlich 400Millionen Noten und Zensuren zugeteilt werden. Hier allerdings sollten sie objektiv sein.

Dass sie das nicht sind, darüber schreibt der Gründungsdirektor des Zentrums für empirische pädagogische Forschung an der Universität Koblenz-Landau, Karlheinz Ingenkamp, seit einem Vierteljahrhundert. In dem Buch 'Tamagotchi Schule - Warum Schule nicht gelingen kann' wird gar von einem gigantischen Notenlotto geschrieben und behauptet, dass jede Note letztlich eine willkürliche Entscheidung des Lehrers ist.

Ebenso subjektiv und in diesem Sinne willkürlich sind die Noten, die Lehrer nun von ihren Schülern bekommen. Denn welche Kriterien etwa legt man zugrunde, einer Lehrerin zum Merkmal 'cool' eine 3,6 zu geben? Ist sie nicht mit einer Udo-Lindenberg-Sonnenbrille und einem locker rausgehauenen 'hey kids' in die Klasse geschlurft? Lehrer sollten das biblisch sportlich sehen: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Note um Note."

Klaus H. Sindern Hövelhof

Aus Fehlern lernen

"Kleinkariert, mimosenhaft empfindlich, dem pädagogischen Anspruch nicht gewachsen: So nenne ich das Verhalten meiner Lehrerkollegin aus dem Gymnasium, sich nicht von Schülern im Internetportal spickmich.de bewerten zu lassen. Sie bewertet doch ihre Schüler auch! Damit diese aus Fehlern lernen. Mir als Lehrer sagt die Beurteilung der Schüler mehr als die der Schulaufsicht, da Schüler mich täglich zu ertragen haben. Die Schulaufsicht meldet sich vorher an und sieht mich nur einmal. Übrigens hat die klagende Lehrerin wohl durch ihre Bewertung was gelernt: Sie ist von anfangs 4,3 auf 3,2 Punkte aufgestiegen."

Harald Dupont Ettringen

Wer bewertet die Richter?

"Die Schüler haben doch auch die Möglichkeit mit Lehrern direkt zu reden, wenn ihnen etwas nicht gefällt, sie können den Rektor einer Schule, das nächste Schulamt oder notfalls das Kultusministerium anschreiben oder aufsuchen. Wo kommen wir hin, wenn niemand mehr miteinander redet und alles, was man über jemanden denkt, ins Internet gestellt wird; schlimmer noch, wenn Unwahrheiten dadurch verbreitet werden. Es wäre nicht schlecht, wenn jemand ein Portal errichten würde, in dem man Richter bewerten kann. Dann wäre sicherlich schnell Schluss mit dem Unsinn."

Helmut Tolle Olching

Vorschub für Lehrermangel

"Ich bin kein Lehrer - aber nach diesem Urteil werden wohl nur noch Idealisten den Lehrerjob machen wollen oder solche, denen nach der Schulzeit sonst nichts anderes einfällt. Dem Lehrermangel werden dann auch keine Billigimporte aus Drittweltländern abhelfen können, wie sonst allgemein üblich."

Dr. Josef Müller Sankt Augustin

Gestaltung gesellschaflicher Normen

"Vorab, ich weiß wovon ich spreche. Als Gynasiast hätte ich den Kunsterzieher mindestens mit einer 2 benotet, während der Rest wirklich nur Schrott war. Dann während des Studiums herrschte Lehrermangel und ich ließ mich für Mathe, Physik engagieren. Nach meinem Studienabschluß und damit dem Ende meiner Lehrertätigkeit kamen die Eltern zu mir, ich möchte doch bitte an der Schule blieben, denn die Schüler mögen mich. Ich bin sicher, daß kein anderer Lehrer an diesem Gymnasium eine derartige Auszeichnung erfahren hat bzw je erfahren haben wird.

Was in kleinem Maßstab an den Schulen abläuft, findet in großem in Gerichten, oft mit politischem Hintergrund, statt; die Auswirkungen sind nicht selten existentiell. Völlig analog zu Abgeordneten, die ebenfalls nur Ihrem Gewissen verantwortlich sein sollen, müssen Richter sich mit ihren Entscheidungen der Öffentlichkeit stellen. Es sind Pennäler, die mit Spickmich gesellschaftliche Normen gestalten und dazu rechtliche Anerkennung erhalten. Für die Darstellung des Treibens vermeintlich unabhängiger Staatsanwälte und Gerichte ist ein derartiges Instrument im Entstehen: www.richterdatenbank.de. Unter den gegebenen Bedingungen an den Gerichten werden Befangenheiten zur vollständigen Blockade des Justizsystems führen."

Dipl Physiker Reiner Szepan München

© SZ vom 26.06.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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