24. Februar 2009:Schattenboxen der Erziehungsexperten

Lesezeit: 6 min

SZ-Leser über Freiheit und Disziplin in der Erziehung, Hamburgs Klinker, Bernhard Schlink in den USA und die Alte Pinakothek in München.

Zum Interview mit dem Psychologen Wolfgang Bergmann über Erziehung ("Zur Hölle mit der Disziplin, 20. Februar) schreiben Leser:

Ein alleinerziehender Vater hilft seinen Kindern bei den Hausaufgaben. (Foto: Foto: ddp)

"Schade, dass Martin Zips trotz kluger Fragen Wolfgang Bergmann noch viel zu viel Gelegenheit bietet, einen anderen Autor - Michael Winterhoff - , den Bergmann offenkundig nicht einmal gelesen hat ('Wie kommt der darauf?'), dermaßen wahrheitswidrig zum Buhmann aufzubauen, um ihn dann dermaßen niveaulos ('Kneipengewäsch') zu diffamieren.

Einen 'deutschnationalen Charakter' verrät er nunmehr selbst: Statt die Realität differenziert wahrzunehmen, lieber in den ideologischen Schützengräben der 70er Jahre hocken bleiben: 'antiautoritär' statt 'diszipliniert', Liebe statt Strafe.

Wer wie ich seit Jahrzehnten mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, weiß doch: Kinder brauchen immer beides: Liebe und Grenzen, Zuwendung und Auseinandersetzung, Ich-starke Erwachsene, die sie respektieren und von ihnen respektiert werden (können).

Selbst Bergmann ist doch jenseits der vermeintlich öffentlichkeitswirksamen Schimpftiraden so weit von Winterhoff gar nicht entfernt: Sie beschreiben beide, wenn auch mit unterschiedlichen Akzentuierungen, die veränderte Wirklichkeit, wenn sie den sich ausbreitenden Narzissmus und die Fragilität von Elternbeziehungen thematisieren und nach den Ursachen in der gesellschaftlichen Realität einer Moderne im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Selbstinszenierungszwängen suchen.

Bergmann schreibt, dass, wenn man dem Kind erklärt, warum man teure Markenklamotten nicht kaufen werde, das Kind zwar 'mault'. Aber insgeheim sei es stolz, dass sein Vater eine klare Haltung einnehme. Nichts anderes fordert Winterhoff: klare Grenzen, Verlässlichkeit.

Den Schattenboxern hierzulande müsste es doch irgendwann einmal zu denken geben, dass Gesellschaften wie etwa die angelsächsischen, in denen traditionell Freiheit und Individualität der Kinder einen höheren Stellenwert besitzen als bei uns, zwischen Freiheit und (Selbst-)disziplin keinen Widerspruch erkennen können.

Im Gegenteil: Die Anerkennung und Wertschätzung, den Respekt und die Höflichkeit, die ich selbst erfahren möchte, muss ich anderen auch jederzeit entgegenbringen."

Matthias Popp, Hemmingen

Grenzenloser Tanz ums Kind

"Spätestens an der Stelle, an der Herr Bergmann erwähnt, dass er seinerzeit den dritten antiautoritären Kindergarten gegründet hat, weiß man, warum seine Thesen so unerfreulich einseitig, überholt und leider auch so undifferenziert - und im übrigen auch praxisfremd und nicht auf der Höhe zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen - sind, wie er es den anderen Autoren vorwirft.

Er hat offenbar seither nichts dazu gelernt. Besonders ärgerlich ist dabei, dass er allen Ernstes meint, einen 'deutschnationalen Charakter' in den aktuellen Diskussionen zur Erziehung sehen zu müssen und den gegenteiligen Diskussionsbeiträgen pauschal unterstellt, deren Thesen berücksichtigten nicht ausreichend das Gebot der Liebe in der Erziehung.

Der einseitig kritik-, konsequenz-, und grenzenlose Tanz um manches Kind der Generation der 68er war erstens ein Fehler zum Nachteil der Kinder. Zweitens ist die Rückbesinnung auf eine Erziehung, zu der auch klare Grenzen und Werte gehören, ein Gebot der Liebe zu unseren Kindern. Drittens sind Liebe und Strafe keine Gegensätze; eine gute Erziehung vereinbart Liebe und Konsequenz, Anforderung und Zuwendung, klare Regeln und Solidarität."

Sybille von Massow, Stralendorf

Mangel an Beziehungsfähigkeit

"Wenn unsere Kinder zu kleinen Tyrannen werden, liegt die Ursache dafür doch nicht in fehlender Ordnung und Disziplin, sondern vielmehr in unserer mangelhaften Beziehungsfähigkeit.

Wer ist denn noch in der Lage, in einen tiefen, liebevollen Kontakt mit anderen Menschen zu gehen, statt jedes Gegenüber zur Projektionsfläche eigener Ängste, Sehnsüchte und Defizite zu machen? Begegnen wir unseren Kindern mit Wertschätzung und Respekt gegenüber ihren Anliegen und Bedürfnissen, werden wir erleben, dass sie dies auch umgekehrt tun.

Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, uns mit uns selbst und unserem eigenen Verhalten auseinander zu setzen. Weit bequemer ist es hingegen, unsere Kinder zum Therapeuten zu schicken oder in die Klamottenkiste längst überholter Erziehungsprinzipien zu greifen.

Dabei erwarten wir dann weiterhin, dass sie sich stets auf die Minute in unsere übervollen Terminkalender fügen. Und wundern uns, dass sie ebenso vehement auf die sofortige Erfüllung ihrer Wünsche pochen."

Katrin Fehlau, München

Eltern in Not

"Die Eltern sind selber in Not. Unsere Gesellschaft verlangt von ihnen Leistung, das erzeugt Ängste, die die Eltern meist unreflektiert an die Kinder weitergeben. Junge Eltern sind nach meiner Beobachtung oft selbst sehr unsicher, und sie brauchen Unterstützung, um herauszufinden, welche Werte sie ihrem Kind vermitteln wollen.

Wenn ich als Vater und Mutter entdecke, was mir wirklich wertvoll ist, werde ich diese Werte auch liebevoll meinem Kind vermitteln können, was natürlich auch Grenzen beinhaltet, doch sind es dann Grenzen, hinter denen ich als liebevolle Autorität stehe, ohne autoritär sein zu müssen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Und Kinder spüren diesen Unterschied."

Monika Sellmayr, München

Hamburger Hafencity ohne Klinker

"'Ohne Klinker geht es nicht' schrieb Till Briegleb am 19. Februar. Die Hafencity am Hamburger Sandtor- und Grasbrookhafen ein 'Remake des frühen 20. Jahrhunderts'? Ohne Klinker geht es nicht? Oh doch, aber dann muss man erst einmal genau hinschauen, seine fixe Idee über Bord werfen, die Neubauten der Hafencity seien vor allem eine Replik auf Fritz Schumachers Klinkerarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts.

Man wird dann auf den elfstöckigen ovalen Wohnturm mit einem dazugehörigen Büro- und Ladenkomplex am Kaiserkai 20-22 stoßen (Architekt: Ingenhofen). Das Oval tanzt buchstäblich aus der Reihe. Klinker? Fehlanzeige! Gleich nebenan hat das Büro des angeblichen Kritikers der Hafencity Teherani ein weiteres Gebäude zum Komplex am Sandtorhafen beigesteuert. Fünf Stockwerke, Wohnungen, Ladenschäfte. Schneeweiß. Klinker? Gegenüber das Wohnhaus einer Baugenossenschaft (Am Kaiserkai 29). Mit schönem Kalkstein des Oberen Jura aus dem Steinbruch Dietfurt im Altmühltal verblendet. Klinker?

Gut wäre es, wenn Till Briegleb Art und Herkunft seiner Standards, an denen er das Erscheinungsbild der neuen Bauten in der Hafencity misst, klarer und geschlossener zum Ausdruck brächte. Sich nur kleiner Kritikbrocken anderer Beobachter zu bedienen, ist wenig überzeugend. Immerhin: Am Ende kommt die Hafencity mit ihrer Baudichte und Kleinteiligkeit ja dann doch ganz gut weg, als Fortsetzung einer 'konservativen europäischen Stadtentwicklungsidee'."

Prof. Dr. Heiner Dürr, Hamburg

Reflexe der Intellektuellen

"Anlässlich Bernhard Schlinks Vortrag in Boston berichtet Susanne Klingenstein über die Kritik am Roman 'Der Vorleser' ('Unbildung und Verbrechen', 12. Februar).

Die Last der Täterschaft könne man nicht eine ungebildete Frau tragen lassen, denn damit würde man am Hauptproblem, dass 'in Wirklichkeit die Mehrheit der Täter gut ausgebildete Männer gewesen seien' vorbeigehen. So der Tenor der jüdischen Kritik. Anzunehmen ist aber, dass nicht alle NS-Folterer und Schergen in ihren Ruhepausen Haydn-Sonaten hörten oder Kant lasen. Erwiesen ist, dass es sich bei vielen um Vorbestrafte, ehemalige Strafgefangene und ungebildete Menschen handelte.

Erschreckend sind weniger die geistlosen Reflexe einiger amerikanischer Intellektueller, in deren Köpfen Hannibal Lecter herumspuken mag und die offensichtlich wenig über die deutsche Nachkriegsliteratur wissen, in der der intellektuelle Täter ausgiebig thematisiert wurde.

Es erschreckt vielmehr, dass Susanne Klingenstein sich diese Kritik zu eigen macht, wenn sie schreibt, dass Schlink das Fehlverhalten seiner Protagonistin auf ihre 'Distanz zur Buchkultur' zurückführe, sein Buch 'stolz darauf sei, sie in eben diese Kultur einzuführen - um den 'Preis, eine KZ-Aufseherin zur Heldin eines Melodrams zu machen'."

Robert Dilla, Hamburg

Kleinliches über eine große Ausstellung

"Das hat die neue große Ausstellung in der Alten Pinakothek in München nicht verdient ('Fürst der Bilder', 5. Februar): diesen Artikel im Plauderton, voll Klischees. Kia Vahland wähnt den 'bayerischen Stolz' dadurch 'verstört', dass 'einer der opulentesten Schätze Münchens nur zugereist ist'.

Obwohl der Schatz sich doch erst bayerischer Erb- und Sammelpolitik verdankt, eben jener der pfälzischen und bayerischen Wittelsbacher. Aber statt (kunst-)geschichtlicher Genauigkeit spinnt Vahland lieber vage Vorurteile aus, Bedeutsames ohne Bedeutung, wie zum Beispiel über den Rubenssaal der Alten Pinakothek: 'Auch diese Idee ist abgeschaut im Norden.'

Abgeschaut? Im Norden? In der Tat stellte Leo von Klenze das 'Große Jüngste Gericht' zentral in die 1836 eröffnete Alte Pinakothek und folgte so der Präsentation in der von Matteo Alberti erbauten, 1714 eröffneten Düsseldorfer Galerie des Kurfürsten Johann Wilhelm.

Allein, die monumentalen Maße des Jüngsten Gerichts wie auch die Dominanz von Rubensgemälden in der Sammlung legen diese Präsentation doch nahe, wäre eher von Kontinuität zu reden als von Kopie.

Einem Zeitgenossen Johann Wilhelms zufolge schimmerten in den (jetzt rekonstruierten) kurfürstlichen Kabinetten 'die feinsten Perlen der Kunst'. Das sind mehr als 'Blumenbilder, Porträts oder Magdalenas', es sind ganz außergewöhnliche, selten gezeigte Kleinodien der Malerei, darunter auch Adam Elsheimers 'Flucht nach Ägypten', dem die Alte Pinakothek vor einigen Jahren eine eigene Ausstellung widmete.

Oder ein prachtvolles Blumenstillleben von Rachel Ruysch - einer Malerin; oder von Otto Marseus van Schrieck ein Gemälde, darauf echte Schmetterlingsflügel - ein Tusch den Restauratoren! Und die barocke Hängung, die Bilder Rahmen an Rahmen in symmetrischer Ordnung, zerstört sie tatsächlich 'den ursprünglichen Sinn und Kontext eines Werkes'?

Kleinliche Wahrung einmal eingeübter Sehgewohnheiten verstellt Vahland den Blick für die phantastischen flämischen Feinmaler, deren jedes einzelne Werk trotz oder vielleicht gerade dicht an dicht gehängt für sich selber spricht.

Interessant wäre es gewesen, über das komplexe Verfahren der Rekonstruktion und die Hängetechnik ein Wort zu lesen, auch über die Farbgestaltung der Kabinette im Erdgeschoss der Alten Pinakothek. Aber Vahland kolportiert lieber einen halb-pikanten Ausspruch der zweiten Ehefrau des Kurfürsten, Anna Maria Luisa de'Medici, angesichts Rubens Jüngsten Gerichts, 'soviel Nacktheit gehöre doch nicht in eine Kirche, sondern in ein Kunsthaus, nämlich in das Düsseldorfer'.

Zum fraglichen Zeitpunkt, 1691, allerdings lagen die Planungen für die epochemachende Düsseldorfer Galerie des Kurfürsten Johann Wilhelm noch in weiter Ferne, sie nahmen erst ab 1709 Gestalt an. Auch das Wort 'Kunsthaus' tauchte erstmals 1711 auf als Name für die eben entstehende Galerie."

Karen M. Jahns, München

© SZ vom 24.02.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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