24. April 2009:Machtreligion der Welt

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Seit jeher haben Herrscher die Nützlichkeit des Christentums erkannt und dieses gefördert, schreiben SZ-Leser.

Zum Leitartikel "Sieg des Gescheiterten" (11./12./13. April) schreiben Leser:

SZ-Leser diskutieren über das Christentum, seine Bedeutung und seine Ausprägungen. (Foto: Foto: ddp)

"Ich habe Verständnis dafür, dass im Oster-Beitrag angesichts der täglichen Meldungen über Opfertode gläubiger moslemischer Märtyrer der Opfertod des ersten christlichen Märtyrers verdrängt werden soll. Aber den von Jesus selbst gewählten und provozierten Sühneopfertod für die Sünder und Milliarden ungetaufter unwissentlich in Erbsünde Verstorbener, als ein Scheitern hinzustellen, halte ich für höchst fragwürdig.

Dass das Christentum seinen Durchbruch und sein 2000-jähriges Bestehen der Oster-Paradoxie zu verdanken habe, ist eine nur schwer verständliche Deutung. Dass aus den bescheidenen Anfängen des Christentums die erfolgreichste Machtreligion der Welt wurde, hat höchst banale und für jedermann verständliche Gründe. Seit dem Jahr 380 haben die Mächtigen dieser Welt die besondere Nützlichkeit der christlichen Heilsversprechen für die Erhaltung ihrer Macht und Beherrschung der stets unzufriedenen Massen erkannt und ihre Institutionen gepflegt und beschützt.

Die einzige Gefahr, die dem Christentum droht, ist die Erosion durch den Rückgang der geistigen Armut. In den bigotten USA haben bereits 93 Prozent der 'leading natural scientists' der National-Academy of Science ihren Glauben an einen Gott verloren, während 99 Prozent der christlich missionierten Analphabeten in der Dritten Welt noch unerschüttert in ihrem Glauben verharren.

Der weltweit erfolgreiche, kämpferische christliche Fundamentalismus erliegt nicht der Versuchung der Selbstgerechtigkeit und Selbstgewissheit, sondern hat mit seiner Forderung, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 200 Jahre in den Lehrplänen und Schulbüchern auszumerzen, eine folgerichtige Konsequenz gezogen."

Andreas Wordell, München

Friedvolle Fundamentalisten

"Calvin sah Reichtum und Gesundheit nicht als menschliches Verdienst, sondern nur als Gnade Gottes und zwang deshalb Reiche und arbeitsfähige Arme, die Armut durch Leistung und Opfer drastisch zu reduzieren. Und der fundamentalistische Protestantismus etwa der Evangelisch-Lutherischen Freikirche ist gerade nicht selbstgerecht: Im Gegensatz zum Sozialismus und früher auch zu den beiden staatlichen Großkirchen haben diese wiedergeborenen Christen seit je jede Gewalt zur Durchsetzung ihrer Glaubensziele, die ja auch der Wesenskern des Staates ist, abgelehnt.

Und im Gegensatz zum weltlichen Humanismus machen diese Fundamentalisten im ursprünglichen und besten Sinne des Wortes nicht selbstgerecht den Menschen zum obersten Maßstab des Lebens, sondern Jesus Christus, dessen Gebote und dessen Trost sich allein in der Bibel finden. Dass dieser Fundamentalismus befreit, können viele 'Gescheiterte' bis hin zu ehemaligen Drogenabhängigen etwa aus den zahlreichen Gemeinden in der 'Konferenz für Gemeindegründung' berichten."

Adolf F. Weiss, München

Himmel und Erde, Geist und Materie

"Die 'österliche Paradoxie' von der "Auferstehung eines Gekreuzigten" erscheint heute deshalb so schwierig, weil es der Theologie nicht gelingt, die zentrale christliche Heilsbotschaft im Heilsplan Gottes zu verankern. Auferstehung besagt ja Neuschöpfung, und der Geist Jesu ist der Schöpfergeist. Deshalb wird Ostern notwendig in der Nähe zum Frühlingspunkt gefeiert als Symbol für den Anfang der Schöpfung und einer natürlichen Auferstehung.

Es geht also nicht um zufällige historische Ereignisse unabhängig vom Schöpfungsgeschehen, auch nicht um die Kategorien Erfolg und Scheitern, sondern um die Erlösung und Vollendung des Zusammenspiels von Himmel (Geist) und Erde (Materie), das im geist-leiblichen Menschen, der als solcher sprach- und symbolfähig ist, seine Zusammenfassung findet.

Der Gekreuzigte wird als der vollkommene Mensch dargestellt: Als der Freie und Gerechte, als der gute Hirte, der sein Leben hingibt, und als der wahre Prophet. Im Johannesevangelium verheißt Jesus in Anspielung auf den Traum Jakobs: 'Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn' - nämlich am Kreuz, wie es im Kreuz-Hymnus heißt: 'Du (Kreuz) bist die sichre Leiter, darauf man steigt zum Leben, das Gott will ewig geben.' Von einem so verstandenen Kreuz zu reden, sollte auch der heutigen Theologie möglich sein."

Dr. Klaus W. Hälbig, Rottenburg

Obama ist kein Pazifist

"Bei aller Bemühung um objektive Hintergrundinformation zur Friedensbewegung weist der Artikel ('Stell dir vor, es ist Frieden...', 9./10. April 2009) doch einen leicht ironischen Tonfall auf - wie er uns leider öfter aus der SZ entgegen schallt.

Zu allererst ist fest zu stellen: wenn auch der Protest gegen die bisherige US-amerikanische Außenpolitik die Friedensbewegung einte, so kann man hinsichtlich der Reaktion auf Obamas atomares Abrüstungsprogramm weder von einer der gesamten Friedensbewegung eigenen 'Verblüffung' noch von daraus für sie erwachsenen 'Schwierigkeiten' sprechen. Wie Herr Drobinski selber berichtet, sind namhafte Vertreter der Bewegung zuhöchst erfreut über diesen Fürsprecher für eins - aber eben nur eines - ihrer vielfältigen Anliegen.

Schwierigkeiten ergeben sich für die Friedensbewegung eher aus der medialen Berichterstattung, die sich durch selektive Wahrnehmung und entsprechend halbwahre oder unvollkommene Informationen auszeichnet. Der Autor macht der Friedensbewegung angesichts der Tatsache, das 'der Krieg den Deutschen noch nie so nahe wie in diesen Jahren war', den Vorwurf der quantitativen Schwäche.

Hat er sich einmal die Frage gestellt, ob das nicht auf das Konto des in der SZ und anderen Medien praktizierten Journalismus geht? Selten liest oder hört man in den Massenmedien Informationen über die weltweite und auch im EU-Vertrag vorgesehene Aufrüstung, über die massenhaften z.T. sogar gegen die Waffenexportrichtlinien verstoßenden Waffenexporte Deutschlands, sowie über die wahren, nämlich hegemonial ökonomischen (nicht die vorgegebenen wie die Durchsetzung von Menschenrechten, Einführung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit) Ursachen von Militäreinsätzen und deren grausigen Auswirkungen.

'Das apokalyptische Szenario fehlt'? Es existiert real - doch wird es wohlweislich von der 'vierten Gewalt' dem Durchschnittslesepublikum vorenthalten, eben um den massenweisen Protest, den Herr Drobinski vorwurfsvoll vermisst, zu verhindern. Denn würde außer zeitweiligen Kurzberichten über militärische Angriffe und nüchterne Zahlen von Kriegstoten auf den ersten Seiten des politischen Teils der SZ auch von den völkerrechtswidrigen Einsätzen von Streumunition und Phosphorwaffen berichtet werden, würde man kontinuierlich die Folgen für die Zivilbevölkerung, sei es in Afghanistan durch die Nato-Einsätze, sei es in Israel durch die mit deutschen Waffen erfolgten Angriffe der israelischen Armee schildern, würde man das Elend der Überlebenden in den Trümmern ihrer Häuser aufzeigen, die Zerstörung der Infrastrukturen, das Flüchtlingselend, die Zerstörung der lebensnotwendigen Ressourcen, den Wassermangel, die Seuchengefahren... ich glaube wohl, dass dann die Leute 'für den Frieden auf die Straße gehen' würden!

Und dass Obama, bei aller Sympathie, nun rede 'als ob er bei Mahatma Gandhi in die Lehre gegangen wäre' - davon ist er nun wirklich weit entfernt. Auch er macht bei aller Rhetorik über 'eine Welt ohne Atomwaffen' deren Abrüstung in den USA abhängig von der der anderen Atommächte: er ist nicht bereit, einseitig den ersten Schritt zu tun, wie es weiland Gorbatschow tat. Und würde Gandhi das Heer in Afghanistan aufstocken? Würde Gandhi die Stationierung des so genannten US-Raketenschutzschildes in Polen und Tschechien aufrecht erhalten? Würde er wie Obama bei aller angekündigten Dialogbereitschaft weiterhin Militär und Rüstung fördern?

Obama ist kein Pazifist - das kann er sich auch nicht leisten, solange die internationale Staatengemeinschaft sich nicht auf den Weg macht, eine Konvention über grundsätzlichen Verzicht auf militärische Strategien zu erarbeiten, und sich auf Umrüstung zu sozialer Verteidigung, zivilen Friedensdiensten und gewaltfreien Konfliktlösungen zu verpflichten.

Doch das wird so schnell nicht gehen. Da gibt es noch viel zu tun! Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Herr Drobinski, dass uns Schwierigkeiten aus Mangel an institutionalisierter und politisch legitimierter Gewaltbereitschaft erwachsen. Leider! Immerhin: 'Thema des Tages' auf der selben Seite war auch das Interview mit Sue Dürr zu Attac und der Friedensbewegung! Ein Trost!"

Mechthild Schreiber, München

© SZ vom 24.04.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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