23. April 2009:Neue Auflage, neue Ansichten

Lesezeit: 4 min

SZ-Leser diskutieren die Krisen-Rezepte von Nobelpreisträger Paul Krugman, die Gewinne des Mittelstandes und die "Schieflage auf See".

"Indira Gurbaxanis Rezension von Paul Krugmans Buch 'Die neue Wirtschaftskrise' fehlt ein ergänzender Nachtrag. Unerwähnt und Fakt ist, dass es sich bei der Neuauflage des Buches um eine aktualisierte Auflage von Krugmans zehn Jahre altem Bestseller 'Die große Rezession' handelt.

SZ-Leser diskutieren zu Paul Krugmans Buch "Die neue Wirtschaftskrise". (Foto: Foto: dpa)

Krugman lobte 1999 in seinem Buch die Zinspolitik des früheren Notenbankchefs Alan Greenspan in den höchsten Tönen, während er jetzt mit ihm sehr hart ins Gericht geht. Indira Gurbaxani verschweigt, dass Krugman in seiner Kolumne, dem Weblog 'The Conscience of a Liberal' und in Late-Night-Shows des US-Fernsehens das Berliner Kabinett, besonders jedoch den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück als 'bonehead' abqualifiziert."

Freddy Weissmann Cartagena, Spanien

Zweifelhafte Tipps vom Nobelpreisträger

"Krisen-Rezept vom Nobelpreisträger? Krugman kann schwerlich im Jahre 1999 die Politik George W. Bushs bezüglich der Asienkrise kritisiert haben, wo dieser doch erst im Jahre 2001 Präsident wurde. Ähnlich schwer dürfte es ihm fallen, in einem Buch aus dem Jahre 1999 - Neuauflage hin oder her - zu erklären, wie es zu der momentanen Krise gekommen ist, geschweige denn, Wege aus dieser zu zeigen.

John Maynard Keynes hat erkannt, dass im Kapitalismus nach einer Wachstumsphase von mehreren Jahrzehnten eine Marktsättigung eintritt, welche die Kapitalrenditen immer weiter sinken lässt. Geld verschwindet zunehmend in die Hortung und in die Spekulation. Es steht der Wirtschaft nicht mehr als Kredit zur Verfügung und löst damit eine Rezession aus. Dies ist exakt die jetzige Situation, die Keynes als 'Liquiditätsfalle' bezeichnete.

Die seit den 70er Jahren praktizierte und von Keynes empfohlene Reaktion des Staates, sich zu verschulden und selbst als Investor aufzutreten, führt zwar kurzfristig zu einer Erholung der Wirtschaft, wirkt aber inflationär und baut eine immer größer werdende Staatsverschuldung auf. Denn die Schulden des Staates können in einer Demokratie prinzipiell nicht zurückgeführt werden, da die Tilgung eine unpopuläre Maßnahme ist, für die keine Mehrheit zustande kommt.

Da mutet es schon äußerst seltsam an, wenn ein Nobelpreisträger bei dem jetzigen Stand der Staatsverschuldung rät, diese in noch schwindelerregendere Höhen zu treiben. Der Keynesianismus könnte vielleicht schon die Lösung sein, wenn man die gesamte Lehre von John Maynard Keynes in diesen Begriff integrieren würde. Dazu wäre aber nötig, über eine konstruktiv umlaufgesicherte Währung nachzudenken, wie John Maynard Keynes sie 1945 vorschlug. Nur mit Hilfe einer konstruktiven Umlaufsicherung kann die Geldzirkulation auch bei niedrigen Zinsen aufrechterhalten werden. Nur dann, wenn dem Geld seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel genommen wird, kann es auch seine eigentliche und einzige Aufgabe als Tauschmittel erfüllen."

Anselm Gehre Evenhausen

Gewinner ist doch der Mittelstand

"Die Wirklichkeit in Deutschland sieht anders aus als im Beitrag 'Reichensteuer als Alibi' vom 14.April beschrieben. Die Einkommensverteilung hat sich infolge langjähriger Stagnation der Lohnentwicklung in einer Weise auseinanderentwickelt, die nicht nur die Verteilungsgerechtigkeit unter die Räder kommen ließ, sondern mittlerweile unser demokratisches System gefährdet, wie die Unzufriedenheit der Mehrheit damit belegt. Höchste Zeit also, dass hier durch Entlastung der unteren und stärkere Belastung der hohen Einkommen entgegengesteuert wird. Deutschland liegt beim Spitzensteuersatz unter den Industriestaaten im unteren Teil.

Auch trifft die Behauptung nicht zu, die Mittelschicht profitiere nicht von der Abwrackprämie, da sie keine Altautos habe. Dies trifft sicher für die Bezieher von Einkommen ab 250000 Euro zu, die aber nicht zur Mittelschicht zählen. Diese kaufen sich in der Regel alle paar Jahre die neuesten Spitzenmodelle. Da sich nur wenige Hartz-IV-Empfänger trotz Prämie ein neues Auto leisten können, profitiert die Mittelschicht eindeutig am meisten von der Abwrackprämie. Von den im Konjunkturprogramm vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen an Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden profitieren vor allem zahlreiche örtliche Handwerks- und Gewerbebetriebe, also der Mittelstand."

Dr. Gerd Pflaumer Swisttal

Allgegenwärtiges Geld

"Es ist amüsant mit anzusehen, wie die Kritik der schweizerischen Bürger beim Versuch, die Schüler durch Geld zu motivieren, emporsteigt ( 'Geld-Noten' vom 8. April). Da wird das Experiment von vornherein abgelehnt und das Resümee lautet, 'dass ein solches Denken zum Scheitern verurteilt ist'. Dabei sind wir schon längst in diesem materiellen Konsens integriert. Sobald ein Schüler ins Berufsleben umsteigt, verwirklicht er jegliche Leistung nur noch für Geld. Also sind die neu gewählten Ansätze für das Schulexperiment in der Arbeitspraxis schon längst erprobt - doch hier beschwert sich niemand."

Josua Fall Elzach

Der Piraterie den Nährboden entziehen

"Vor der somalischen Küsten treiben Piraten ihr Unwesen ( 'Taliban auf See' vom 16. April). Jetzt fahren große Geschwader auf, um den Freibeutern das Handwerk zu legen. Und wie soll das gehen? Militärisch natürlich, keine Frage.

An eine andere Form der Konfliktbereinigung denkt die um Handelsrouten besorgte Welt nicht. Was aber treibt die Somalier an, aufs Meer zu fahren und Schiffe zu entern? Es ist wie eine 'Flucht nach vorne' von Menschen, die nach 18 Jahren Bürgerkrieg in Chaos, Elend und Anarchie leben und sich an jeden nur erdenklichen 'Rettungsring' klammern. Würde der Westen in diesem gescheiterten Staat mithelfen, Strukturen aufzubauen und den neuen, viel versprechenden Präsidenten zu unterstützen, entzöge man der Piraterie den Nährboden. Die 'Schieflage auf See' kann man begradigen, wenn die Bürger im Land ein ordentliches Gewerbe und ein Auskommen finden, dass sie anständig leben lässt."

Thomas Malfertheiner Bozen

Lieber zahlen als gehen

"Es gibt eine Möglichkeit, die wirksamer als die angedrohten Bußgelder ('Höhere Strafen zeigen noch wenig Wirkung' vom 20. April) davon abhält, Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr zu begehen: Entziehung der Fahrerlaubnis. Man zahlt doch lieber ein dreistelliges Bußgeld als mal für einen Monat die eigenen Füße, ein Fahrrad oder den Bus zur Fortbewegung zu nutzen."

Jörg Hartwig Rendsburg

© SZ vom 23.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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