22. Januar 2009:Berliner Katastrophenpaket

Lesezeit: 5 min

Die Milliarden für Deutschlands Konjunktur sind falsch angelegt, weil sie das Wachstum ankurbeln sollen, statt Nachhaltigkeit zu fördern.

"Politik am Bruch, 17. Januar" "In diesem Artikel bringt Michael Bauchmüller es auf den Punkt: Mit den 50 Milliarden Euro für ein Konjunkturpaket gestaltet die Politik nicht, sondern erhält alte Strukturen. Bestes Beispiel dafür ist die Abwrackprämie. Doch weder die Bundesregierung noch der Kommentator hinterfragen eine der wesentlichen Ursachen dieser Finanz-, Wirtschafts- und Rohstoffkrise. Wie beim ,,Katastrophenpaket'' geht es vor allem um Wachstum - und eben nicht um Nachhaltigkeit, denn die ist ökonomisch nicht sinnvoll. Genauso wenig wie beispielsweise ein Tempolimit. Das würde durch geringeren Verschleiß und seltenere (Total-)Schäden dazu führen, dass weniger Verbrennungsmotoren produziert und verkauft würden. Der pathologische Wachstumszwang stößt bei den natürlichen Ressourcen bereits an seine Grenzen."

Lesermeinung: "Den Politikern fehlt die Kraft zu gestalten, und das wird uns Bürger noch teuer zu stehen kommen." (Foto: Foto: dpa)

Jens Hakenes, Berlin

Ein Industriesystem der Vergangenheit

"Es ist kein Wunder, dass die Bundesregierung auf Lebenserhaltungsmaßnahmen für ein Industriesystem des vergangenen Jahrhunderts setzt: Alle politischen Parteien sind sich darin einig, dass Wachstum das einzige Ziel dieses Systems ist. ,,Mehr'' galt schon immer als besser und es stand nie zur öffentlichen Debatte, ob es wirklich egal ist, was da eigentlich von Jahr zu Jahr mehr produziert wird. An den Finanzmärkten galt und gilt dasselbe Prinzip: Mehr ist besser. Damit wirbt jede Bank - und zwar ganz legal. Dass dabei Blasen entstehen, die dann schmerzvoll platzen, wird hingenommen. Eine grundlegende Systemanalyse und eine öffentliche Diskussion über die Zielsetzung des Wirtschaftens unterbleibt. Und damit auch jede Diskussion darüber, wie lange exponentielles Wachstum von Geldvermögen, Geldschulden und Ökonomie überhaupt gutgehen kann."

Norbert Rost, Dresden

Den Firmen fehlt das Geld

"Den Politikern fehlt die Kraft zu gestalten, und das wird uns Bürger noch teuer zu stehen kommen. Nach 60 Jahren Wirtschaftswachstum fällt den Beratern nichts Besseres ein, als mehr Wirtschaftswachstum zu fordern.

Eine entscheidende Ursache der Entwicklung besteht darin, dass in Produktion, Handel und Dienstleistung auf Dauer nicht das Wachstum erzeugt werden kann, das vom Finanzkapital gefordert wird. In einem gesättigten Markt tendieren Wachstum und Gewinn gegen null. Unser Kapital verweigert sich bei Minimalrenditen aber konsequent. Die zweite verkannte Ursache besteht darin, dass Firmen trotz Leitzinssätzen nahe null mit Kreditkosten von sechs bis sechzehn Prozent kalkulieren müssen. Kosten, die nicht selten höher sind als die Gehaltskosten. Dieses Geld fehlt Unternehmen, um eine der Absatzlage angemessene Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnstreichung finanzieren zu können.

Eine zentrale Aufgabe des Finanzsektors ist die Versorgung der Wirtschaft mit ausreichender Liquidität. Die Herausforderung besteht darin, die Kapitalkosten dem Wirtschaftswachstum anzupassen. Mit Kapitalkosten nahe null rechnen sich unzählige Investitionen im ökologischen und sozialen Bereich. In den öffentlichen Haushalten werden Milliarden frei für die geforderten Zukunftsinvestitionen. Ganz nebenbei geht auch das Überwachstum der Geldvermögen zurück, das ja die regelmäßig auftretenden Spekulationsblasen erst verursacht."

Klaus Popp, Düsseldorf

Leben auf Kosten späterer Generationen

"Valentin würde sagen: Wenn die Zukunft noch greislicher wird als sie schon ist, dann machen wir halt ein Konjunkturprogramm, das gar keine Zukunft nicht hat! Wir sind ein aussterbendes Volk, das Angst vor Überfremdung hat. Wir investieren aber nicht 2500 Euro in jedes Neugeborene, sondern in die Verschrottung von Autos und damit die Vernichtung von Volksvermögen, die sich nur eine Gesellschaft leisten kann, die hemmungslos auf Kosten kommender Generationen lebt. Wir machen Schulden wie nie zuvor, die von unseren Nachfahren beglichen werden müssen. Deren Bildungsniveau läuft aber Gefahr, noch weiter zu sinken, sodass sie gegenüber aufstrebenden Völkern ins Hintertreffen gerät. Wir investieren nicht etwa für kleinere Schulklassen und mehr und besser ausgebildete Lehrer, sondern bestenfalls in die Renovierung von vorhandenen Schulen. Wir investieren auch vorrangig in den Straßenbau und damit in eine automobile Zukunft, die nicht mehr stattfinden kann. "Weiter so!" ist die Devise und damit könnten wir uns anstelle von Valentin auf die Bühne stellen. Dann bekämen wir wenigstens Applaus für diese unglaublich kurzsichtige und kuriose Handhabung einer allgemein seit langem schon - außer von Bankern - absehbaren Katastrophe."

Karl Klühspies, München

Auch in Zukunft brauchen wir Produkte

"Wohin eine zu starke Deindustrialisierung führt, kann in England besichtigt werden. Auch zukünftig brauchen wir in erster Linie physische, aus Material hergestellte Produkte für die Gestaltung eines komfortablen Lebens. Nur wer diese Produkte herstellt, weiß um deren Material- und Energieverbrauch, die zu ihrer Herstellung notwendigen Maschinen, die Wartungserfordernisse während deren Lebenszyklus und die Bedingungen für ein vernünftiges Recycling. Schulische Bildung, berufliche Ausbildung, Offenheit, zukünftige Märkte zu erkennen und der Mut, sie zu erschließen, die Kreativität von Ingenieuren, neue Produkte zu entwickeln: Das sind die Felder, die von gestaltender Politik begünstigt werden sollten. Das entstehende bürokratische Monster, den Durchschnittsverbrauch (oder umständlicher CO2-Ausstoß) zukünftiger Autos am Durchschnittsverbrauch der von einem Hersteller oder einem Herstellerkonsortium in den Verkehr gebrachten Autos zu begrenzen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Politik, sei es aus Gründen mangelnden Mutes oder aus Gründen mangelnden eigenen Sachverstandes, weit davon entfernt ist, mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen zukunftssichere, langfristig erhaltbare und damit verlässliche Rahmenbedingungen zu formulieren, sondern sich immer mehr dem Einfluss kurzsichtiger, partikuläre Interessen vertretender Lobbyisten unterwirft." Dr. Heiko Barske, Seefeld

Wer ruft noch "Wir sind das Volk"?

"In einem Jahr, das reich ist an bedeutungsvollen und erinnerungswürdigen Gedenktagen, gibt es wohl nichts Trostloseres als die Vorstellungen einer Agentur, die vom Bundesinnenministerium mit der Ausgestaltung des 60. Jahrestages der Gründung der Bundesrepublik beauftragt wurde (,,Irritierende Rednerliste'' 16. Januar). Demnach ist derzeit geplant: Eine Autoshow am Brandenburger Tor und die Werbung von 150 Firmen, die vielleicht bis dahin Millionen von Euro in den Sand gesetzt oder Tausende Mitarbeiter entlassen haben, an der Straße Unter den Linden - das soll dem Anlass gerecht werden und Stolz auf die zurückliegenden Jahrzehnte der Bundesrepublik vermitteln? Hat da mal jemand von Nationalgefühl oder Politikverdrossenheit geredet? Wurde da vielleicht einmal gerufen ,,Wir sind das Volk''?"

Dr. Karl Klaus Walther, Volkach

"Merkel verlangt schnelle Einigung im Gas-Streit", 17./18. Januar

Kanzlerin ohne Nimbus

"Kanzlerin Angela Merkel redet wegen der Unterbrechung der Gaslieferung mit dem russischen Ministerpräsidenten wie eine hilflose Lehrerin mit ungehorsamen Kindern: Meine Geduld ist erschöpft, ich verlange, dass ihr aufhört, ich erwarte, dass ihr eure Aufgaben macht. Mir doch egal! Noch was? Solange Deutschland und andere europäische Länder so sehr am russischem Gashahn hängen wie derzeit, sollte die Kanzlerin die Backen nicht so stark aufblasen und dafür mehr über deutsche und europäische Versäumnisse in der Energiepolitik nachdenken sowie schnellstens mit der EU die Abhängigkeit vom russischen Gas reduzieren. Schimpfen ist meistens ein Zeichen von Schwäche. Das spüren sogar Kinder. Der Nimbus der Kanzlerin ist dahin, ihre Aura schwindet."

Albert Hagn, Ravensburg

"Paradoxe Agrarpolitik, 19. Januar"

"Der Milchfonds bringt den kleinen Bauern nichts"

"Dass Milchfonds und Exportförderung den kleineren, tierfreundlicher agierenden Milchbauern helfen würden ist falsch. Exportsubventionen kommen in erster Linie Großbetrieben zugute - also denen, bei denen Kühe auf Spaltenböden stehen und gerade einmal zwei Laktationsperioden überstehen, bevor sie ,,ausgebrannt'' sind. Kleinbauern mit Grünlandnutzung brauchen stattdessen Programme, die eine tier- und landschaftsschonende Haltung honoriert, die zudem Allergien entgegenwirkt. Der jetzt erkämpfte Milchfonds hilft ihnen wenig, denn ihren Aufwand gleicht er nicht aus. In Entwicklungsländern werden aber Strukturen zerstört, die nur schwer wieder zu errichten sein werden, ebenso wie die unserer kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Hinzu kommt das Leiden der immer stärker ausgebeuteten Tiere."

Elisabeth Petras, Hamburg

© SZ vom 22. Januar 2009/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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