19. Mai 2009:Die Schuld der Kirche

Lesezeit: 3 min

Ob Inquisition oder Judenverfolgung: SZ-Leser schreiben darüber, warum Päpste sich so schwer damit tun, Verantwortung zu übernehmen.

Der Papst ist aus Israel zurückgekehrt. Zu Berichten und Kommentaren über die Reise schreiben Leser:

Der Papst an der Klagemauer: Hat sich das Oberhaupt der Katholiken bei seiner Israelreise ausreichend zur Schuld der Kirche bekannt? (Foto: Foto: ddp)

"Mehr als 90 Schuldeingeständnisse hat man in den beiden letzten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts gezählt - zu den Kreuzzügen, der Inquisition, dem Fall Galilei, den Kirchenspaltungen, den Religionskriegen, dem Verhalten gegenüber Indianern oder dem Sklavenhandel. Diese Schuldeingeständnisse und Vergebungsbitten waren gewiss mehr als bloße Lippenbekenntnisse. Und doch blieben sie seltsam wirkungslos. Die päpstlichen Schulderklärungen vermeiden es konsequent, von kirchlicher Schuld zu reden.

In allen Dokumenten wird die feinsinnige Unterscheidung zwischen Kirche und Christen betont. Diese Unterscheidung verharmlost jedoch ein zentrales Problem. Denn von Seiten der römischen Hierarchie wähnt man sich in dem Glauben, man könne 'die Kirche' gleichsam als abstrakte Idee verselbständigen; man könne per definitionem unterscheiden zwischen einer Kirche in der konkreten Lebenspraxis von Menschen und der Existenz von Kirche in einem lebens- und menschenfreien Raum; man könne eine künstliche Mauer errichten zwischen der Sündhaftigkeit von Kirchenmitgliedern und dem abstrakten Wesen 'Kirche', die von der Sündhaftigkeit ihrer Kirchenmitglieder unbehelligt bleibt; man könne die über Jahrhunderte praktizierte kirchliche Machtausübung sowie die in drohender und angsteinflößender Attitüde eingeforderte Unterwerfung ihrer Gläubigen im Hinblick auf kirchliche Lehrmeinungen schlechthin negieren und zugleich verschweigen, dass diese Vorgänge nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass Kirche selbst oft genug Quelle der Sünde geworden ist.

In allen Schuldbekenntnissen wird immer wieder von einer 'Kirche der Sünder' und nicht von einer 'sündigen Kirche' gesprochen. Es reicht keineswegs aus, bloß von einer Aneinanderreihung von Sünden einzelner Christen zu sprechen, die fehlerhaft, sündig, versagend und lasterhaft sich verhalten haben. In den Blick zu nehmen ist somit nicht bloß das Problem einer Kirche aus Sündern, sondern pointiert formuliert: die sündige Kirche.

Zu Recht fordert deshalb Hans Küng: 'Keine fadenscheinige Unterscheidung zwischen der 'heiligen' Kirche und den sündigen Gliedern, wo, um die Heiligkeit 'der Kirche' nicht zu kompromittieren, völlig abstrakt unterschieden wird zwischen den Gliedern und der Kirche selbst, die angeblich sündlos bleibt.

Viele kritische Stimmen in Israel und Deutschland geben zu bedenken, dass der Papst in seiner Rede in Jad Vaschem die Tatsache der Ermordung der Juden und der Schuld auch der katholischen Kirche nicht deutlich genug beim Namen genannt hat. Bei der Vorbereitung dieser Rede hätte sich der Papst vielleicht an das Bonhoeffer-Wort erinnern sollen: 'Nur wer für die Juden schreit, der darf auch gregorianisch singen.'"

Paul Haverkamp Lingen

Schaden für den Glauben

"'Reich an Worten, arm an Emotionen' überschreibt Thorsten Schmitz seine Überlegungen zur Papstreise. Die Frage bleibt aber: Worte wozu - und von wem? Der Papst sollte grundsätzlich besser im Vatikan bleiben und diese Weltreisen vermeiden! Das ist nicht ein Affront eines protestantischen Christen und Theologen, der (immer noch) etwas gegen dieses überholte Kirchenamt hat.

Dahinter steht auch die Sorge, dass dieser Papst dem christlichen Glauben letztlich erheblichen Schaden zufügt, weil er für ein religiöses Zerrbild verantwortlich ist. Er beherzigt nicht, was Jesus von Nazareth, den er vorgibt auf dieser Erde zu vertreten, gesagt hat: 'Mein Reich ist nicht von dieser Welt.' Er lässt sich als Staatsoberhaupt mit militärischen Ehren (Artillerie-Salut) begrüßen, dann will er Pilger sein und macht mit Gebeten Politik (auch in Jad Vaschem und an der Klagemauer), stößt aber gleichzeitig Juden und Christen mit seinen internen Anordnungen im Vatikan vor den Kopf: um nur den Pius-Bischof mit seinen antijüdischen Äußerungen und die päpstlichen Gebetsanordnung für den Karfreitag zu nennen. Alles sollen wir dann unter dem Anspruch der Ökumene gutheißen müssen?"

Wilhelm Drühe Mettmann

Verneigung vor dem Leid

"Papst Benedikt XVI. ist gewiss nicht so charismatisch wie sein Vorgänger. Aber er ist ein tiefer Denker und ein solider Arbeiter, der um die Bedeutung von Gesten weiß. So besuchte er nach den Begrüßungshöflichkeiten im Heiligen Land als erstes Jad Vaschem. Erzkonservative Katholiken waren ebenso gegen diesen Besuch wie manche Kreise im Nahen Osten.

Im Mann aus Rom verneigte sich die Kirche ein weiteres Mal vor dem unsagbaren Leid und dem besonderen Platz des Volkes Israel in der Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit. Kein lauter Ruf und keine künstliche Dramaturgie in diesem Besuch. Es stimmt, der Papst ertränkte seine Gedanken nicht im See der Schuld. Das war auch nicht nötig. Um Entschuldigung hatte sein Vorgänger gebeten. Jetzt wären die Vertreter des religiösen Judentums an der Reihe, in der Tat zu vergeben.

Es hat nichts mit Herzenskälte und schon gar nichts mit Uneinsichtigkeit zu tun, wenn die Kirche nach ihrer Bitte um Entschuldigung vor neun Jahren, auf der Grundlage gewonnener Einsicht, zusammen mit den Juden und Muslimen konstruktiv in die Zukunft schauen möchte. Die Kritik an der Rede von Jad Vaschem zeugt auch von mangelnder Fähigkeit, wirklich hinzuschauen und hinzuhören."

Martin F. Riederer Fließ/Österreich

Zurschaustellen der Gefühle

"Wer wie Lothar Müller 'die Kälte des Professors' und die 'mangelnde Expressivität' in der Rede des deutschen Papstes kritisiert, fordert im Grunde ein medienwirksames, schauspielerhaftes Zurschaustellen der Gefühle, wie es manche Politiker gerne zu eigenem Nutzen tun. Wer aber kann ermessen, wie stark und echt die Gefühle eines Menschen, also auch des Papstes wirklich sind? Ins Herz sieht Gott allein."

Claus Rensing Bocholt

© SZ vom 18.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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