19. März 2009:Von Mitgefühl und Hilfe getragen

Lesezeit: 8 min

SZ-Leser schreiben über Millionen von deutschen Vertriebenen, die in ein vom Krieg zerstörtes Land integriert worden sind.

Zu Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, insbesondere zum Kommentar "Volk der Vertriebenen" (7./8. März), schreiben Leser:

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, zu Beginn der Bundesversammlung des Verbandes am 18. März 2009 in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

"Zu den international geachteten und geschichtlich relevanten Leistungen der deutschen Nachkriegszeit gehört - neben der Aussöhnung mit Frankreich, dem Verzicht auf Gebietsansprüche in Osteuropa, der Wiedergutmachung an den jüdischen Opfern, dem Wiederaufbau des zerstörten Landes und der gewaltlose Wiedervereinigung - auch die Eingliederung von Millionen Heimatvertriebenen unter widrigsten wirtschaftlichen und politischen Einflüssen.

Wenn Kurt Kister behauptet, dass es eine Zwecklegende sei, gar ein Märchen, dass die Einbürgerung und Aufnahme der Vertriebenen reibungslos verlaufen sei, so würde man ihm das gerne nachsehen, da man weiß, dass der Verfasser zu einer Zeit Lesen und Schreiben lernte, als die gröbsten Flüchtlingsprobleme weitgehend überwunden waren.

Da er sich aber mutig als Zeitzeuge geriert, der sich noch gut erinnert, dass die Flüchtlinge nicht willkommen waren, muss man ihm in aller Deutlichkeit entgegenhalten, dass er mit diesen Verallgemeinerungen die Leistungen der Vertriebenen und insbesondere die der Aufnahmegesellschaft herabwürdigt. Das ist nicht gerecht, denn es hat - und ich nenne hier bewusst die Einheimischen des Landkreises Oberallgäu-Sonthofen - viel mehr Beispiele von Mitgefühl, Mitleid, Hilfsbereitschaft und gar Herzenswärme als Animositäten gegeben.

Auch den Aufgenommenen wird er nicht gerecht. Das Land Bayern verdankt einen Gutteil seines Aufstieges vom mäßig prosperierenden Agrarland zum Hochtechnologie-Staat dem Fleiß und Bemühen der Vertriebenen. Orte wie Neu-Gablonz, Geretsried, Traunreut und Waldkraiburg. Firmen wie Rehau, Conrad, Audi und auch Siemens zeigen das.

Am Erfolg der Einbürgerung von Millionen Vertriebenen in ein vom Krieg schwer gezeichnetes und in weiten Teilen zerstörtes Land ist nicht zu zweifeln. Es ist wohl die größte und wohl auch humanste Integrationsleistung in der Flüchtlingsgeschichte der Welt.

Daher kann auch die Gründung einer Stiftung für Vertriebene kein nationaler oder gar internationaler Streitfall sein. Sie dient allein der kulturellen Identitätsfindung denn bei zahllosen der Vertriebenen handelt es sich um die Nachkommen der von fremden Herrschern in das Land gerufenen fränkischschwäbischen Siedlern und Kolonisatoren."

Prof.Dr.Ulrich Zeidler, Hamburg

Eine Geschichte, die präsent bleibt

"Es ist kein 'hohles Echo von gestern', wenn über das Konzept eines Museums zum Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen gestritten wird. Die Geschichte dieser Zeit ist - anders als Kurt Kister glaubt - für viele Menschen durchaus präsent, ist Bestandteil der Kultur der Bundesrepublik, der Medien und der Politik. Und sie wird auch den Jüngeren und den nach 1960 Geborenen immer wieder vermittelt.

Dass das Begreifen der Ereignisse Zeit braucht, ist selbstverständlich. Unverständlich ist dagegen, warum die 18 Millionen Deutschen, die aus Osteuropa geflohen sind oder vertrieben wurden (auch nach Österreich und in die USA), immer wieder so negativ dargestellt und beurteilt werden.

Sind sie ein Sündenbock zur Ablenkung vom politischen Versagen der anderen deutschen Länder in der NS-Zeit? Oder ist es männliche Arroganz, wenn man so gar kein Verständnis hat, dass besonders die ältere Generation an ihrer Tradition, an ihrer Herkunft, ihrer Kultur hängt? Warum beschimpft man die Verbandsvertreter, die oft mit viel Idealismus die Erinnerung an alte Zeiten pflegen und ihre politischen Vorstellungen entwickeln?

Viele der Vertriebenen - ob im Verband organisiert oder nicht - haben sich in den einst von ihnen bewohnten Gebieten für den Wiederaufbau von Schlössern, Kirchen, Bürgerhäusern eingesetzt und Kontakte mit der Bevölkerung dieser Länder hergestellt. Vielleicht schießen einige der Verbandsvertreter in ihren politischen Vorstellungen gelegentlich über das Ziel hinaus oder sie haben manchmal weltfremde Erwartungen. Deshalb muss man aber nicht gleich verächtlich von 'Berufsschlesiern' sprechen."

Erika Dietrich, Ingolstadt

Neue Ordnungen statt überholter Denkmäler

"Das Verhalten der Bundesregierung, der Kanzlerin und der Parteien im Fall Steinbach kann nur als schäbig bezeichnet werden. Indes halte ich ein Vertriebenenzentrum für ebenso überflüssig, wie es Holocaustmahnmale und Gedenkstätten aller Art schon lange sind.

Diese Formen steingewordener und ideologisierter Vergangenheitsaufbewahrung und -bewältigung, wie auch das immer wieder aufflammende peinliche politische Gezerre um Rituale und Gedenken, um immer neue Opfergruppen und Täterschaften diente bisher nur dem Kampf um Deutungshoheiten um des Vorteils von Interessengruppen willen. Der ständige Rekurs auf Problemstellungen der Vergangenheit zeigt nur unser Unvermögen - auch und gerade unter bleibenden Opfern - gestalterisch in die Zukunft zu denken.

Nicht Schuldbekenntnisse, unbestimmtes Versöhnungsgerede und Gedenken tut not, sondern das Erfassen gemeinsamer politischer Zielsetzungen in Hinblick auf neue planetare Ordnungen. Wir brauchen keine Gedenkstätten, sondern Denkfabriken, keine Mahnmale, sondern Ausbildungsstätten, keine Trauerreden, sondern öffentliche Foren der Diskussion um die Fragestellungen unserer Zukunft. Es ist an der Zeit, Opferinteressen und die im Dienste von Opfergruppen stehende Geschichtsschreibung auf der Schutthalde der Geschichte abzulegen."

Martin Ruf, Schönau

Das Leid der Polen

"In unserem Verhältnis zu Polen wird es noch lange keine unbeschwerte Leichtigkeit geben können. Wer die polnische Reaktion auf die Nominierung Frau Steinbachs nicht versteht, weiß entweder zu wenig über die furchtbaren Verbrechen des NS-Staates - also nicht nur der Nazis, SS und Gestapo - in Polen, oder verdrängt sein Wissen. Unmittelbar nach dem deutschen Angriff und der Besetzung Polens wurde das Land nach vorab in Berlin vorbereiteten Listen methodisch seiner möglichen geistigen und politischen Führer beraubt.

Im Oktober und November 1939 wurden Auslandsdeutsche - in der Mehrheit Deutschbalten aus Lettland und Estland - in den 'Warthegau' mit Posen als Zentrum umgesiedelt. Ohne es zu durchschauen, ließen sie sich als Instrument zur 'Germanisierung' Osteuropas benutzen. Sie waren wohl mehrheitlich keine erklärten Nazis. Aber sie nahmen Wohnung in polnischen Wohnungen, machten Geschäfte mit polnischen Geschäften und betrieben Landwirtschaft auf polnischem Land.

Die polnische Bevölkerung wurde zu Tausenden in Viehwagen nach Osten, in das 'Generalgouvernement', verfrachtet. Unter den elenden Verhältnissen kamen viele dieser Vertriebenen ums Leben.

Auch wir Deutschbalten waren beteiligte Zeugen - mit ahnungslosen, belegten, abgewandten oder auch begeisterten Augen. Frau Steinbachs Haltung und Motive mögen in Teilen entstellt worden sein - aber sie repräsentiert Organisationen mit Menschen, denen das erfahrene eigene Leid der Vertreibung auch heute noch die Erschütterung über die Leiden der Polen in den Unglücks- und Mordjahren verwehrt. Unsere Geschichte bleibt uns und nachfolgenden Generationen ein beschwerliches Thema."

Frank von Auer, Mainz

Die Gebaren der Verbände

"Interessiert habe ich den informativen Artikel von Nico Fried und Thomas Urban über den erzwungenen Verzicht der Verbandsvorsitzenden Erika Steinbach und die Reaktionen in Warschau gelesen.

Merkwürdig, als sei sie abgesprochen, ist allerdings in einem Punkt die Unisono-Reaktion unserer Medien: Keinen einzigen Satz habe ich gehört oder gelesen, der die Wirkung des Rücktritts auf die Vertriebenen thematisiert. Wenn man bedenkt, dass deren größter Teil nicht Mitglied der Landsmannschaften ist, und dass vielen das Gebaren der Verbände nicht passt, kann es, wie bei mir, nur Erleichterung sein.

Wenn im Gesetz zur Stiftung - ich habe es nicht gelesen - wirklich stehen sollte, dass 'die Vertriebenen' drei Vertreter vorschlagen dürfen, dann müssen es keine Verbandsleute sein. Dann könnte man auch linke Alt-Politiker oder Alt-Richter auswählen, oder bekannte Literaten, die selbst Vertriebene waren. Ist aber das Auswahlrecht auf den Vertriebenen-Verband beschränkt, dann wären vorwiegend konservative Vertriebene gefragt, und man muss die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bezweifeln.

Es heißt, Frau Steinbach habe dazugelernt. Das wäre gut. Sie sollte nun mit ihren Erkenntnissen nicht nur ihren Verband, sondern auch die Landsmannschaften vom altnationalen Image befreien helfen. Das Ostpreußenblatt, jetzt eine Beilage der problematischen 'Preußischen Allgemeine', könnte diese Ehe verlassen, die Ostpreußische Landsmannschaft endlich auch die Hitler-gläubige Agnes Miegel als 'Mutter Ostpreußens' verabschieden, und falls eine Mutter nötig erscheint, z.B. durch die 1945 gestorbene Käthe Kollwitz ersetzen.

Solche Maßnahmen würden nicht nur verbandsferne Vertriebene mit den Verbänden versöhnen, sondern auch polnischen Nationalisten den geliebten Außenfeind nehmen. Das wiederum könnte dort die interne Aufarbeitung der eigenen Geschichte fördern und dem europäischen Verstehen dienen.

Wie ich in Ihrem Artikel lese, beruft sich Frau Steinbach auf die 'Würde ihres Verbandes'. Das erinnert mich fatal an meine erste Begegnung mit der Ostpreußischen Landsmannschaft. 1956 wurde in Osterode/ Harz der 'Bund Ostpreußischer Studierender gegründet. Ich nahm die Einladung an, und half mit. In meiner Aktentasche aber hatte ich einen vervielfältigten Text über einen friedlichen Ausgleich mit Polen auf humaner Basis, aber unter Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Nachdem ich ihn verteilt hatte, wurde der Antrag gestellt, mich wegen 'Unwürdigkeit' auszuschließen. Erst als sich herausstellte, dass eine große Minderheit ihn zu diskutieren bereit war, wurde er zurückgenommen, doch mein Vorschlag auf ewig vertagt. Nach einigen Jahren war von aufmüpfigen Jung-Vertriebenen dort nichts mehr zu hören. Was ist h e u t e dort Würde?, frage ich."

Werner Terpitz, Malsch-Völkersbach

Bedingungen für eine echte Versöhnung

"Thomas Urban hat für die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen mehr getan als viele Politiker hierzulande. Indem er den Lesern der SZ die ehrverletzenden Formen vor Augen geführt hat, in denen polnische Politiker und Journalisten mit der Person Erika Steinbachs umgegangen sind, hat er die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Person Steinbach, ihr Anliegen und ihr Engagement gelenkt.

Auch konnte wieder einmal in den Medien und unter vielen Deutschen das zur Sprache kommen, was nach dem Ende des Krieges im damaligen Ostdeutschland geschah. Jedenfalls ist Frau Steinbach bekannter denn je, und dem 'Zentrum gegen Vertreibungen' ist ein breites Interesse in der deutschen Öffentlichkeit zugewachsen.

Wenn dieser Lernprozess in Deutschland auf Polen zurückwirkt und dort zu einem differenzierteren Blick auf die Geschichte zwischen beiden Ländern führt, dann werden in die Beziehungen zwischen beiden mehr Nüchternheit, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit einkehren, Bedingungen für eine echte Versöhnung.

Dieser Prozess wird gleichwohl konfliktreich sein, doch folgt man den Soziologen Lewis A. Coser und Ralph Dahrendorf, dann sind weder Integration noch Wandel ohne Konflikt zu haben. Th. Urban gebührt die Anerkennung dafür, dass er den Konflikt zwischen Deutschland und Polen deutlich ausgesprochen und damit den Weg zu Integration und Wandel in den Beziehungen zwischen beiden Nationen mit geebnet hat."

Peter Schöber, Bielefeld

"Die falsche Biographie" , 3. März 2009

Parteipolitisches Interesse

"Auch in diesem Beitrag blieben zwei wesentliche historische Tatsachen auf der Strecke. Eine Völkerwanderung wurde von den alliierten Siegermächten auf der Jalta-Konferenz im Februar 1945 durch Churchill, Roosevelt und Stalin verein­bart. Für diese Drei stand fest, dass die deutsche Regierung bald bedingungslos kapitulieren musste. Um Russland für die höchsten Verluste an Toten und ver­brannter Erde einen (im Grunde unmöglichen) Ausgleich zu verschaffen, wurde Polen bis zur Oder/Neiße-Linie nach Westen verlagert.

Die Vertreibung der Deutschen aus diesen Räumen galt als die dafür notwendige Voraussetzung. Diese Grenzziehung wurde während der Potsdamer Konferenz im August 1945 durch die Regierungschefs Attlee, Stalin und Truman bekräftigt.

In Deutschland wurden im Juni 1948 zuerst die drei westlichen Besatzungszonen durch die Währungsreform abgeteilt. Im September 1949 folgte die Gründung der Bundesrepublik und im Oktober die Gründung der Deutschen Demokrati­schen Republik.

Wegen der bedeutenden Hilfen des Marshall-Plans und den neuen Arbeitsmöglichkeiten westlich der Teilung strebten die Vertriebenen fast alle dorthin. Sie wurden in dem von niemandem realistisch vorausgesehenen wirtschaftlichen Aufstieg nach und nach integriert. Seit den ersten Jahren der für sie schwerwiegenden und schmerzlichen Veränderungen erging es ihnen trotz des Verlustes ihrer heimatlichen Herkunft weitaus besser, als es für sie im frü­heren Polen oder in der DDR hätte geschehen können. Sie waren nicht in die Fremde oder ins Elend vorstoßen.

Angesichts dieses schon nach zehn Jahren offensichtlich werdenden Resultats erscheint es zunächst einmal erstaunlich, dass es in der Bundesrepublik auch nach 70 Jahren noch den Sonderstatus der Vertriebenen gibt. Viele von ihnen haben wie zum Beispiel Erika Steinbach oder Peter Glotz Karriere gemacht.

Gäbe es nicht das parteipolitische Interesse, ein Vertriebenenbewusstsein auch in Menschen wach zu halten, die damals als Kinder über die Grenze gebracht wurden, wären sie inzwischen weit berechtigter in ihrem Status als Bundesbür­ger beheimatet als etwa die nach dem gescheiterten Demokratieversuch von 1848 politisch gezwungenen Emigranten aus Deutschland in den U.S.A nach der entsprechenden Zeit.

Bleibt die Frage der Aktivlegitimation, die Politikern der CDU und CSU in an­deren Fällen so wichtig ist: Von wie vielen der seinerzeit zwölf Millionen Ver­triebenen gibt es heute im vereinten Deutschland Nachkommen, für welche die Existenz und die Forderungen der Vertriebenbünde lebenswichtig sind?"

Dieter Lattmann, München

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