19. Juni 2009:Es ist nicht das Geld allein...

Lesezeit: 5 min

...das den Universitäten fehlt: SZ-Leser verdeutlichen, was Professoren leisten und warum sie die Unterstützung von Hochschulmanagern brauchen.

Zu Berichten und Kommentaren über die Bildungsstreiks schreiben Leser:

Wieviel darf Bildung kosten? Protestierende Studenten befestigen ein Transparent an der Theodor-Heuss-Brücke in Mainz. (Foto: Foto: ddp)

"Es stimmt, dass an Hochschulen vieles optimiert werden kann. Und wie die SZ richtig schreibt, muss man ins Detail blicken, um Verbesserungen bewirken zu können. Denn oft liegt es nicht alleine am fehlenden Geld.

Dank der Studienbeiträge - für die ich hiermit keinesfalls das Wort reden will - verfügen wir zwar über mehr finanzielle Mittel als noch vor Jahren, die wir auch zum Nutzen der Studierenden einsetzen. Es fehlt jedoch vielfach an Personal und organisatorischer Unterstützung der Professoren, wie folgende Beispiele zeigen:

Als Professor bin ich eine 'one-man-show'. Ich verfüge über keine Sekretärin und teile mir mit 25 anderen Kollegen acht Assistenten. Neben Lehre und Forschung muss ich Berufungskommissionen leiten, Internationaliserung betreiben, Prüfungsordnungen mit umfangreichen Modulbeschreibungen im Sinne des Bologna-Prozesses entwerfen, Praktikumsplätze für unser Studierenden akquirieren und verwalten, Bücher publizieren, Messebeteiligungen organisieren, Forschungsanträge schreiben und vieles mehr. Wir Professoren sind gezwungen, viel zu viel Zeit mit Verwaltungsaufgaben zu verbringen, was zu Lasten von Lehre und Forschung geht.

Seit diesem Semester müssen wir Professoren die Klausuranmeldelisten selbst ausdrucken und die Noten selbst per Hand in die Hochschul-EDV übertragen. Die hierfür implementierten IT-Systeme sind ineffizient. Das bislang hierfür zuständige Prüfungsamt klagt über Personalmangel und erfüllt diese Aufgaben daher nicht mehr. Auf 100 Professoren gerechnet ergibt sich alleine für das Ausdrucken von Prüfungslisten eine 35-Stunden-Woche an Mehrarbeit.

Für Studienexkursionen, sicherlich eine der intensivsten Lehrformen, erhalten wir Professoren keinerlei Unterstützung von der Hochschulverwaltung, sondern müssen uns mit zahlreichen Haushalts-, Genehmigungs- und Abrechnungsvorschriften plagen - was die meisten Kollegen von solchen Exkursionen abhält. Für meine persönlichen dienstlichen Belange (Fortbildungen, Hilfskräfte, PC- und Sachmittelausstattung) stehen mir in diesem Jahr etwa 1000 Euro zur Verfügung. Damit lässt sich mit viel Glück gerade mal die Teilnahme an einer einzigen Fachtagung finanzieren.

Mehr Geld alleine hilft daher nicht unbedingt. Wenn wir Professoren die künftige Führungselite unseres Landes ausbilden sollen, brauchen wir neben ausreichend finanziellen Mitteln auch organisatorischen und personellen Rückhalt, um ausreichend zeitlichen Freiraum für Lehre und Forschung zu haben. Hierfür bedarf es qualifizierter Hochschulmanager, die uns unterstützen und nicht bremsen."

Prof. Dr. Torsten Kirstges Wilhelmshaven

Kritisches Denken ist Mangelware

"Dass in diesem Land die schweigende Mehrheit überwiegt, ist schon entsetzlich. Dass es Vereinigungen gibt, die sich das wohlklingende Wort 'demokratisch' auf ihre Fahne schreiben und vor jenen warnen, die ihre Rechte wahrnehmen, sie als 'Krawallmacher' und 'Chaoten' bezeichnen und grundsätzlich als 'links', wenn nicht sogar 'linksradikal' einstufen, ist erschütternd - und gefährlich!

Diese Menschen scheinen vor lauter Angst vor demonstrierenden Schülern und Studenten zu vergessen, was der Sinn des bundesweiten Bildungsstreiks ist: Die Politik, und damit meine ich alle Menschen in diesem Land, wachzurütteln! Der Versuch, Studiengänge durch die Einführung des BA/MA-Systems international wettbewerbsfähig zu machen, hat sein Ziel gründlich verfehlt!

Aber vielleicht ist das ja gar kein 'unbeabsichtigter Fehltritt': Menschen, die bereits in der Ausbildung darauf gedrillt werden, Gehorsam und Höchstleistung zu erbringen, die mit Punkten belohnt werden, fügen sich wunderbar in eine schweigende, funktions- und leistungsgesteuerte Masse ein, die durch die Abgabe individueller Freiheiten und Rechte der Wirtschaft wieder nach oben verhilft.

Man muss kein Anhänger der Linkspartei sein, um die Missstände zu erkennen. Und man muss kein Radikaler sein, um seine durch das Grundgesetz geschützten Rechte auf freie Meinungsäußerung und das Versammlungs- und Streikrecht wahrzunehmen. Ärgerlich ist, dass Schüler und Studenten es bundesweit nicht schaffen, sich in ausreichend großen, parteilosen Vereinigungen zu organisieren.

Ärgerlich ist hier auch das geringe Engagement der Lehrkräfte: Mir läuft es eiskalt den Rücken runter, wenn Lehrer versuchen, Schüler den Klassenzimmern einzusperren, um zu verhindern, dass sie am Bildungsstreik teilnehmen. Kritisches Denken ist Mangelware."

Friederike Weber Hannover

Mehr als nur Krawalle

"Sie erwecken den Eindruck, dass die Beteiligten lediglich auf ein paar nette Stunden im gemeinschaftlichen Vollrausch aus gewesen seien, ähnlich wie bei einem Rockfestival. Das Interesse für die Gründe und Ziele der Proteste rückt hier vollkommen in den Hintergrund gegenüber der Darstellung von 'Krawall und Remmidemmi'.

Die Probleme, die sich an Schulen und Universitäten auftun, sind jedoch ganz offensichtlich und werden nicht nur von einer kleinen Minderheit bemängelt. Wenn friedlicher und bunter Protest als hohler Drang zum Hedonismus diskreditiert wird, auf welche Weise soll man dann noch protestieren, um sich ernsthaft Gehör zu verschaffen?"

Jonas Borsch, Julia Klöpping, Miriam von Bültzingslöwen Trier

Schlangen zu den Sprechzeiten

"18 Milliarden Bildungsinvestition vom Bund, und die Unipräsidentin sagt, sie habe keine Mittel um die Bedingungen an der Uni zu verbessern. Kritik am Bolognaprozess von Studierenden, Medien und Arbeitsmarkt, und der Vizerektor mahnt, es sei doch alles in Ordnung.

Die Unileitung ersetzt attraktive Dozentenstellen durch befristete Lehraufträge und erinnert in ihrer Personalpolitik an einen kurzatmigen Kettenraucher. Glänzende Statistiken über das Betreuungsverhältnis, doch die Schlangen zu den Sprechzeiten werden länger; das Vorlesungsverzeichnis - ein Flickenteppich. Auch wenn die Auseinandersetzung gegen diese Koalition der Unwilligen und Unfähigen für uns Studierende schwierig ist, zeigen wir mit dem Bildungsstreik, was und wie viel schief läuft im Bildungssektor."

BastianHoffmann Potsdam

Die Bürden der Generation Praktikum

"Ein Affront gegen alle Schüler und Studenten ist es schon, wenn Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) den Protestierenden des bundesweiten Bildungstreiks 2009 'zum Teil gestrige Ziele' unterstellt.

Das Turbo-Abitur in 12 Schuljahren und die Bachelor- und Master-Studiengänge führen in eine Sackgasse und das nicht nur auf dem Arbeitsmarkt. Eine 'Gene- ration Praktikum' kann kein Rentensystem finanzieren oder sich vor eigener Altersarmut schützen.

Mit einem Bachelorstudienabschluß ist man für viele Arbeitgeber nur ein Schmalspur-Akademiker, dem man ein Praktium oder einen auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrag anbietet. Die heutige 'Generation Praktikum' kann kein Rentensystem finanzieren oder sich vor eigener Altersarmut schützen.

Auch die Masterstudiengänge sind alles andere als ein idealer Einstieg in die Forschung oder Lehre. Geschweige denn, sind sie eine ideale Eintrittskarte in den ersten Arbeitsmarkt für einen festen Dauerarbeitsplatz. Selbst die Studiengebühren haben dazu geführt, dass nur noch Kinder aus reichen Elternhäusern ein Studium aufnehmen. Arbeiterkinder bleiben nach dem Abitur immeröfter auf der Strecke, weil für sie ein Studium schlichtweg Luxus ist und hohe Schulden bei der Bank bedeutet."

Albert Alten Wernigerode

Verkehrte Welt!

"Da treten Zehntausende in Bildungsstreik, fordern u.a. mehr Lehrer. Ich will über meine Altersgrenze hinaus Lehrer bleiben. Darf es nicht und muss per Prozess um Verlängerung meines Lehrerdaseins kämpfen!"

Harald Dupont Ettringen

Was nützt ein halbausgebildeter Arzt?

"Wer noch nie studiert hat kann es nicht verstehen. Ich z.B. sitze ca. 10 h am Tag in der Uni und danach geht die Lernerei daheim weiter. Samstags werden dann Probeklausuren geschrieben und Sonntags muss auch der ganze Tag geopfert werden, damit man mit kommt. Ein freier Tag ist so selten wie Ostern und Weihnachten zusammen gefeiert wird. Wann soll man da noch jobben? In den 'Semesterferien'? Da müssen Hausarbeiten angefertigt werden (Zeitaufwand ca. 2. Monate bei 10 h Studen am Tag) und Praktika absolviert werden.

Vom Bafög kann man auch nicht leben. Das Bafög geht nämlich für Miete und die Krankenversicherung drauf. Da bleiben dann ca. 60 € für alles andere. Nur kosten leider Bücher auch Geld und das nicht gering. Da kann die Anschaffung eines wichtigen Buchs (Kommentar), das nur mal so ca. 100 € kostet nicht mehr vorgenommen werden.

Im Vergleich zum Arbeitslosengeld II muss dann noch 50 % des Bafögs zurück gezahlt werden. Aus diesen Gründen kann ich nicht jungen Talenten es raten, zu studieren, wenn sie keine reichen Eltern hinter sich stehen haben.

Und dann der große Abschlusstag. Da ist man Bachelor und niemand weiß, was man mit diesen tollen 'Titel' anfangen kann. Es wird also ein Abschluss angestrebt, der nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, da niemand ein Bachelor gebrauchen kann. Oder würden Sie sich von einem halb ausgebildeten Arzt behandeln lassen oder von einem Rechtsanwalt beraten lassen, der nur das Zivilrecht, aber nicht öffentliches Recht, Strafrecht und die Zusammenhänge vom Rechtssystem beherrscht?"

Sebastian Scharrer Mainz

© SZ vom 19.06.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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