18. Februar 2009:Eine Form von Erbarmungslosigkeit

Lesezeit: 7 min

SZ-Leser über den Fall Eluana, Turbulenzen im Vatikan, die Demokratie in der EU und traumatisierte Soldaten.

"Eine Tote zwischen den Fronten", 11. Februar

(Foto: Foto: dpa)

"Dies ist ein kluger, abwägender Artikel. Ich habe diesen Fall schon seit einigen Jahren in den italienischen Zeitungen verfolgt und war entsetzt wie das Thema in Italien behandelt wird. Es bestand offenbar kein medizinischer Zweifel, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass Eluana je ins Bewusstsein zurückkehrt, da ihr Gehirn zum größten Teil nekrotisch war. Es ging also nur noch um die Frage, ob ein Körper ohne Bewusstsein fortexistieren soll, der von Jahr zu Jahr mehr verfällt.

Es ist eine Form von Erbarmungslosigkeit, von mangelnder Mitleidsfähigkeit gegenüber der Familie, wenn katholische Würdenträger und rechtskonservative Politiker in Italien, vorneweg nun Berlusconi, diesen Fall ideologisieren und mit technischen Maßnahmen verhindern wollten, dass nun auch ihr Körper sterben durfte, nachdem die Person Eluana bereits vor bald zwanzig Jahren gestorben ist.

Dies ist eine Erbarmungslosigkeit, vor allem gegenüber der leidenden Familie. Eluana hätte sich gewünscht, so sagt ihr Vater, in einer solchen Situation auch körperlich sterben zu dürfen. Sie wird die letzten siebzehn Jahre nicht gelitten haben.

Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, wenn nun Silvio Berlusconi daraus auch noch eine politische Kampagne macht. 'Eluana könnte noch Kinder kriegen' hat er behauptet.

Nicht einmal das hat gestimmt, aber selbst wenn es zuträfe, dann nur nach einer Vergewaltigung ihres Körpers. Es ist gut, dass in diesem Fall die Anwendung medizinischer Gewalt durch die Gerichte Italiens gestoppt wurde. Der alte Präsident, Giorgio Napolitano, scheint einer der wenigen im öffentlichen Leben Italiens stehenden zu sein, der weiß, was Anstand und Respekt gebieten."

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a.D. München

" Wir haben verstanden", 4. Februar

Der Kulturkampf droht überzugreifen

"Der Rabbi und Potsdamer Professoren-Kollege, Walter Homolka, hat es klug resümiert (SZ 28, 4.2.09, S. 2: 'Wir haben verstanden'): es geht nicht um Mr. Williamson, diesen mehr oder minder - bislang - selbsternannten Bischof einer -bislang - Sekte: dessen Stimme allein wäre nur eine mehr im numerisch belanglosen Chor der Holocaust-Leugner, dieser schwer Beeinträchtigten am empirisch-dokumentarischen Wissen.

Die 'causa' ist ungustiös, auch verwerflich. Aber nicht bedrohlich: bereiste Mr. Williamson die BRD, erwartete ihn der Staatsanwalt. 'Und das ist gut so'.

Aber wieso darf, ohne staatsanwaltliche Ermittlungen, die homepage der FSSPX, der Pius-Bruderschaft also, zentrale Grundsätze der Verfassung der Bundesrepublik, auf Verfassungs-Boden, mit Füßen treten: Sätze wie die, 'jeder Staat' habe 'die Pflicht, die katholische Religion als die einzig wahre anzuerkennen und ihr entsprechende Rechte einzuräumen', sind weder mit dem GG (Art. 3 (3); 4 ((1)/(2)) kompatibel noch auch generell mit den chartierten Menschenrechten. Ich erspare mir weitere Zitate, etwa des Herrn Franz Schmidberger.

Und die jetzt wieder aufgegriffene Karfreitags-Fürbitte, das Herz der Menschen jüdischen Glaubens möge erleuchtet werde, auf dass sie zum einzig wahren, katholischen Glauben finden, ist vielleicht nicht strikt gegen das Grundgesetz; von Respekt für das Postulat der Religionsfreiheit zeugt es nicht; es spiegelt im Gegenteil den alten kirchlichen Anti-Judaismus, demzufolge nur ein getaufter Jude ein akzeptabler Mensch sei.

W. Homolka trifft den Kern: der Vatican unter dem Pontifikate Benedikts XVI. hat zu einem Glaubens- und Kultur-Kampf angesetzt, mögen auch andere, verhaltene Reaktionen katholischer Meinungen (noch) spürbar sein.

Die ideologischen Fundamente dieser Offensive sind traditions-rückwärts-gewandt, sie sind macht-politisch, sie sind demokratie-feindlich. Sie bedienen sich eines diffusen, konservativen Geraunes über eine 'Werte'-Krise, in der sträflichen Meinung, gäbe es eine solche denn, dann würde ihr Traditions-Bild darin erneut eine führende Rolle spielen können.

Nicht nur die 'Bruderschaft Pii X', neuerdings auch die vaticanische Kirche beruft sich auf einen theologico-historischen Komplex des 19. Jahrhunderts, der dem Zweiten Vaticanum so entschieden entgegensteht wie der Moderne generell: auf den 'Syllabus Errorum', den Katalog der 'Modernen Irrtümer', resp. 'Irrlehren'; erlassen, unter dem (später, aber erstaunlich schnell, zum 'Heiligen' erhobenen) Pius IX., 1864, dem dann auch die 'Unfehlbarkeit des Papstes', spricht er ex cathedra, neu zu erlassen einfiel; erneuert auch (1907) unter dem Pontifikat Pius X.

Der 'Irrtümer' stehen darin viele zu lesen: neben Liberalismus, Demokratie, Rationalismus auch, non theologische, Wissenschaft und Relativismus (was immer das heißen mag).

Das historische Bild des Papstes Pius XII. neu einzurichten, ist man gerade eifrig dabei (Ausstellung Berlin-Charlottenburg): der Vorwurf, er sei dem Faschismus, Hitler wie Mussolini, nicht hinreichend entschieden entgegengetreten, soll gemildert, also (hier) 'relativiert' werden; wobei wiederum auf der Wissenstrecke bleibt, dass eben dieser Pius XII. den Vorgänger Pius X., unseren 'Bruderschafts'-Pius, zum Stande der Heiligen erhob, neben dem neuen Dogma, auch Maria, Mutter Jesu, habe ihre Himmelfahrt erlebt. Damit nicht genug: dem neuen pontifex maximus, so hört man, sei gelegen an einer 'Vermittlung', kirchlicherseits gerne 'Aussöhnung' genannt, von 'Glauben' und 'Vernunft'.

Ein 'Dialog'-Scheinangebot, das selbst einen generell kritischen Geist wie Jürgen Habermas, ich hoffe: weiland, zu reizen vermochte; in diesem 'Dialog', hier: mit der (wissenschaftlich-kritischen) Vernunft, dort mit anderen Glaubens-Positionen, besteht nun aber seitens des Vatican kein Gleichheits-Parameter der (Vernunft-)Argumente - hier wird, macht-politisch, als Kulturkampf vorweggenommen, was erst Ergebnis rational-kommunikativen, theorie-bildenden und nachprüfenden Handelns sein könnte.

Und das sollte auch die Wissenschaftler aller Disziplinen auf den Plan rufen, nicht nur Kirchen wie die protestantische oder andere Glaubens-Gruppierungen und deren Institutionen; etwa die Jüdischen Gemeinschaften, die sich zu Wort gemeldet, in vollem Anrecht.

Da der Kulturkampf droht überzugreifen, auch auf die Wissenschafts-Regeln, also die Verfassungs-'Freiheit' (GG, Artikel 5 (3)) derselben, müssen wir Widerstand leisten gegen solche 'Anmutung' (Kant) einer solchen kirchlichen Vernunft-/Wissenschafts-/Rechts-/und Politik-Steuerung, die sich, bedauernswerterweise, als vaticanische Strategie anbahnt: ob wir nun Gläubige sind oder Agnostiker wie z.B. ich selbst. Auch wir (sollten) haben verstanden."

Prof. Dr. Eckhard Höfner, Frankfurt (Oder)

Der Vertrag von Lissabon stärkt die Demokratie in der EU

"Durch den Vertrag von Lissabon wird die EU kein Staat, sondern bleibt - um die Begrifflichkeit des Bundesverfassungsgerichts zu verwenden - ein Staatenverbund.

Die Mitgliedstaaten bleiben die Herren der Verträge, was durch eine neue Austrittsklausel noch unterstrichen wird. Daher bleibt es auch in Zukunft bei der vom Bundesverfassungsgericht beanspruchten Befugnis, über die Verfassungsmäßigkeit des EU-Rechts zu wachen und ggf. einzuschreiten.

Es entspricht dieser Zwischenposition zwischen klassischer internationaler Organisation und Bundesstaat, dass die EU auch nach Lissabon zwar ein der Demokratie verpflichteter Verbund, jedoch noch keine volle parlamentarische Demokratie sein wird.

Andernfalls wäre es nicht mehr möglich, dem Anspruch aller EU-Staaten nach maßgeblicher Mitsprache bei Entscheidungen Rechnung zu tragen. Und die Bürger einer ganzen Anzahl kleinerer Mitgliedstaaten wären im Europäischen Parlament nicht mehr nennenswert vertreten.

Dennoch führt der Vertrag von Lissabon mit der Aufwertung des direkt gewählten Europäischen Parlaments zum Mitgesetzgeber in so gut wie allen Politikbereichen zu einer Demokratisierung der EU, die es so in keiner anderen internationalen Organisation gibt. Darüber hinaus sprechen weitere wichtige Gründe für den Vertrag von Lissabon. Doch die Schaffung von spürbar mehr Demokratie ist gewiss einer der gewichtigsten."

Dr. Rudolf Mögele, Kraainem

"Mehr Europa, aber ehrlich", 12. Februar

Die Mutation der EU

"Heribert Prantl verdient im allgemeinen Anerkennung für seinen Ideenreichtum, die folgerichtige Argumentation (auch wenn seine linksliberalen Prämissen meist diskus-sionsbedürftig sind) und die gestaltende Kraft seiner Worte.

Um so mehr überrascht Prantls EU-Emphase: "Die Europäische Union ist das Ende eines tausendjährigen Krieges, den fast alle gegen alle geführt haben. Sie ist ein unverdientes Paradies für die Menschen eines Kontinents, EU das Kürzel für das goldene Zeitalter der europäi-schen Historie." Solche Sätze klingen wie aus der Feder Helmut Kohls; und leider geht ihr Erkenntniswert auch nur unwesentlich über das hinaus, was wir vom Altbundeskanzler in Sachen Europa zu hören gewohnt sind.

Dass die klassischen Europäischen Gemeinschaften (EWG, EG usw.) Frieden und Wohlstand in Westeuropa nach 1945 gefördert haben, kann nicht sinnvoll bestritten werden. Der Europäischen Union geht es aber um unverrückbare supranationale Strukturen zum dauerhaft ungehinderten Austausch von Waren, Geld und Dienstleistungen.

Dieses Programm verlangt die Errichtung einer zentralistischen Bürokratie mit hoher Kompetenzverdichtung; denn demokratische Nationalstaaten mit vitalen Eigeninteressen könnten die Profitmaximierung internationaler Konzerne richtunggebend behindern.

Die EU mutiert daher in letzter Konsequenz zu einer demokratiefeindlichen Diktatur, die sich − wie andere Diktaturen auch − zur Verschleierung ihrer bösen Absichten quasidemokratischer Institutionen bedient. Vortreffliches Beispiel ist das sog. Europäische Parlament, das alles Mögliche sein mag, nur keine demokratische Volksvertretung.

Erstens nämlich ist die europäische Wahlbevölkerung keine homogene, einen Demos im Sinne der Demokratietheorie bildende Sprach-, Kultur- oder Schicksalsgemeinschaft. Zweitens wird sie durch die Wahlen zu diesem Placebo-Parlament in einer Weise behandelt, die mehreren demokratischen Einzelprinzipien Hohn spricht. Hier zählt bspw. die Stimme eines Luxemburgers dreizehn Mal so viel wie diejenige eines Deutschen. Ist das womöglich die politisch korrekte Strafe für eine vermeintliche Kollektivschuld unserer Vorfahren, auch wenn diese neuerdings beschwichtigend "kollektive Scham" usw. genannt wird?

"Die Freuden, die man übertreibt, verwandeln sich in Schmerzen" (Friedrich Justin Bertuch). Dies gilt gerade auch für den europäischen Einigungsprozess!"

Dr. jur. Björn Schumacher, Saarbrücken

" Der Geruch des Todes", 3. Februar

Mehr Therapeuten als Notärzte

"Die armen Bundeswehrler - immer mehr kehren aus dem Einsatz in Afghanistan als behandlungsreife seelische Krüppel zurück. Aber noch mehr Soldaten wollen die europäischen USA-hörigen Parlamentarier nach Afghanistan schicken, ohne selbst einmal die Uniform anzuziehen, um einige Zeit den 'Geruch des Todes' in Form aufgedunsener stinkender Leichen zu genießen.

Am 8.5.1945 wurde ich an der thüringisch-böhmischen Grenze als Sol­dat eines Luftwaffenregiments im Alter von 15 3/4 Jahren schwer verwundet und - da der Weg ins Thüringische von den Russen bereits versperrt war - transportiert man mich in die CSR nach Teplitz-Schönau, wo ich in einem vom Personal bereits verlassenen Lazarett am Gang abgestellt wurde.

Bis eine ärztliche Behandlung erfolgte, hatte der sog. Gasbrand schon begonnen, was zur Amputation eines Beines im OS-Bereich führte. Die weitere ärztliche Behandlung im bewachten Zimmer kam nahe Null, Schmerztabletten gab es nie, Verpflegung bedingte ra­sche Abmagerung. Mit größtem Glück gelangte ich doch noch in meine Heimat, aus der ich im Juni 1946 vertrieben wurde.

Eine Prothese konnte ich erst nach einer schweren Nachamputation 1949/50 in Bad Tölz ab März 1951 tragen, sodaß ich den Schulbesuch vom Sept. 1946 bis Juni 1949 als Fahrschüler (7 km Zugstrecke) mit Krücken absol­vieren durfte! Bis ich schließlich schadensbedingt nach dem BVG mit 100 % eingestuft worden bin, war manche nicht unbedingt würdige Ver­fahrenssituation zu erleben. Einen Therapeuten mit Seelenstreicheleinheiten sah ich nie.

Sieht und liest man heute Medien, so hat man den Eindruck: stolpert irgendwer irgendwo, so sind Therapeutenscharen eher vor Ort als der Notarzt. Hat der Betroffene mal kein Trauma, so besteht sein Trauma darin, kein Trauma haben zu können/wollen. Na dann hat man halt eines; die spezifischen Symptome, die man zu haben hat, sind täglich ausführ­lich zu lesen. Für mich galt jedenfalls das Motto: Vogel friß oder stirb. Also fraß ich."

Gerhard Axmann, Neubiberg

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