18. April 2009:Buhlen um die Taliban

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In der Kritik der SZ-Leser: Afghanistans Präsident Karsai, das neue Berlin und Adenauers symbolische Wiedergutmachung.

"Wieder ist Afghanistan im Fokus, diesmal nicht wegen der leider gewohnten Gewalt in Form blutiger Anschläge. Diesmal ist es eine andere, aber gleichermaßen brutale Form der Verachtung von Menschenrechten. Dass Präsident Hamid Karsai so vehement um die Akzeptanz "gemäßigter" Taliban buhlt, dass seine Unterschrift immer mehr Gesetze besiegelt, die nur das Ziel verfolgen zur landesweiten Scharia zu gelangen, das ist kein Geheimnis mehr. Zeigt doch das von ihm unterzeichnete Ehegesetz, wie unverhohlen Menschenrechte wie Gleichberechtigung, Recht auf Selbstverwirklichung und das Recht auf Menschenwürde vor den Augen der Welt missachtet werden.

Sein neues Ehegesetz für Afghanistan stößt auf Protest: Hamid Karsai. (Foto: Foto: dpa)

Die frauenfeindlichen Regeln beinhalten die Verheiratung von sieben- bis neunjährigen Mädchen, die Zwangsehe mit der Konsequenz einer oft lebenslangen Vergewaltigung in der Ehe und den nun vorgeschriebenen Beischlaf. Es ist klar, dass man westliche Demokratiemodelle nicht über die afghanische Gesellschaft stülpen kann. Es ist aber auch klar, dass man durch immer offensivere Implementierung islamischer Werte und Gesetze den Weg zu einer natürlich gewachsenen Demokratie immer weiter verlässt und gesellschaftliche Gegensätze zementiert.

Besonders auf dem Land leben die Menschen in Afghanistan noch immer streng nach frauenfeindlichen Regeln. Afghanistan braucht dringend viel größere Anstrengungen im Bildungsbereich. In einem islamisch geprägten Land besteht immer die Gefahr, dass religiöse Regeln und Vorgaben in den politischen Prozess Eingang finden und damit staatsrechtlichen, verbindlichen Charakter erhalten können, wenn daraus Gesetze werden. Daher muss eine Vermischung von Religion und Politik konsequent unterbunden, und eine säkulare Regierungsform von innen und außen gefördert werden."

Nadia Fasel Maroth

So modern ist Deutschland nicht

"Gerne vergessen deutsche Politiker in ihrem Aufschrei gegen das Ehegesetz Karsais, dass die Pflicht der Frau, ihrem Mann sexuell zur Verfügung zu stehen, auch in Deutschland im Grunde bis vor zwölf Jahren noch bestand. Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe zum Straftatbestand, erst seit 2004 ist sie kein Antragsdelikt mehr, das heißt es findet auch eine Strafverfolgung statt, wenn die Anzeige zurückgenommen wird.

Die Überzeugung, mit der auch noch der konservativste westliche Politiker für die sexuelle Selbstbestimmung der afghanischen Frau eintritt, macht vor allem deutlich: Die gelungene Gleichstellung von Frau und Mann gehört zu einem der westlichen Lieblingsmythen. "Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt. Wenn es ihr (...) versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen." Diese Aussagen finden sich in einem Gerichtsurteil von 1967. Das ist eine Weile her, aber von archaischen Zeiten doch ein ganzes Stück entfernt."

Helen Keller Hannover

Unbequeme Wahrheit

"Ein Satz im Beitrag 'Der Absturz rückt näher' vom 25. März war mir unheimlich: 'Kaum ein Ökonom hat vor ein paar Monaten damit gerechnet, viele Politiker wollten es nicht wahrhaben. Das Jahr 2009 wird wirklich katastrophal.'

Warum eigentlich? Aber dann dachte ich an einen SZ-Kommentar vom Dezember, in dem es hieß: 'Norbert Walter, Chefökonom der Deutschen Bank, hatte schon vor Tagen erklärt, er könne sich auch einen Rückgang um sage und schreibe vier Prozent vorstellen.' Und: 'Derlei Geschwätz ist unverantwortlich, weil es die Menschen weiter verunsichert und so die Krise verschärft. Immerhin, es gibt Hoffnung: Nach einer Analyse der Financial Times Deutschland schwankt nicht nur die Konjunktur, sondern auch Walters Treffgenauigkeit: 2003 war er 'Prognostiker des Jahres', 2005 belegte er nur Platz 54.'

Sie haben aber Recht mit dem zweiten Teil: Politiker und anscheinend manche Redakteure wollten es in der Tat nicht wahrhaben."

David Beffert, Washington DC

Berlin in rosarot

"'Das neue Berlin' (11./12./13. April) kennt keine Krise, als Kronzeugen müssen Professor Raue, der Kunstmäzen, sowie Frau von Hardenberg, die die Schickimicki-Szene beleuchtet, herhalten: Alle haben Geld verloren, meint Raue. Dann hat ja die Gerechtigkeit gesiegt.

Auf einen gelernten Berliner wirkt das irritierend, darf ich die rosarote Brille gegen meine schwarzweiße austauschen? Verschämt wurde dann noch, fast im Abspann des Artikels, eingestreut, dass 20 Prozent der Berliner vom Sozialtransfer leben. Ach ja, die Armut. Ich empfehle als Lektüre den letzten Sozialstrukturatlas oder die Berichte der Berliner Tafel (180.000 Kinder in Hartz-Familien): Immer mehr Schüler müssen mit aussortierten Lebensmitteln versorgt werden. 400.000 abhängig Beschäftigte leben von weniger als 900 Euro Einkommen im Monat. Ob die alle ihre Armut so sexy finden? Aber das wäre dann doch zu unappetitlich für einen Artikel, der die neue Boheme feiern möchte."

Dieter Pienkny, Berlin

Erschreckend homophob

"Was bitte haben im Beitrag 'Sonettenwut' vom 14. April ein Ledertreffen im 'Berghain', eine - am Karfreitag vielleicht tatsächlich nicht ganz passende - 'Armida'-Aufführung in der Komischen Oper und Bob Wilsons Inszenierung der Sonette miteinander zu tun? Der beschriebene Zusammenhang erscheint erschreckend homophob."

Thomas Meinhardt, München

Jettende Beamten

"Zum Kommentar 'Berlin ohne Bonn' fällt mir spontan das Adjektiv 'witzig' ein. Glaubt der Autor wirklich, dass die Mehrheit oder auch nur 10 Prozent der in Bonn tätige Ministeriumsmitarbeiter regelmäßig in die Hauptstadt 'jetted'? Und was passiert beim Umzug der Rest-Ministerien mit den mehreren tausend Bonner Mitarbeitern? Per Personaltausch hat sich nämlich gefügt, dass dies überwiegend jene sind, die ihren Wohnsitz nicht nach Berlin verlegen möchten.

Das Problem sind nicht die Spitzen der Ministerialbürokratie, sondern die vielen anderen Menschen, die eben auch in Bundesministerien arbeiten. Sollen die alle zwangsversetzt werden? Zahlt der Bund dann für das wöchentliche heimjetten zur Familie nach Bonn? Zahlt der Bund für das möbilierte Zimmer in Berlin als Zweitwohnsitz? Auf dem Bonner Immobilienmarkt wird die zur Zeit vom Bund belegte Bürofläche auch längerfristig kaum zu vermarkten sein.

Das Spiel, statt der Bundesministerien nachgeordnete Bundesbehörden nach Bonn zu beordern, wird man kaum weiterspielen können - zumal dies eher nicht kostensenkend ist. Wo die Einsparungen eines weiteren Großumzugs sein sollen, kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil: die zweite Hälfte eines Bonn-Berlin-Umzugs wird sich, da die Möglichkeiten des Personal- und Gebäudeausgleichs nun viel geringer sind, deutlich schwieriger gestalten.

Richtiger wäre, wenn die Ministerien eine Personalpolitik betreiben würden, die zu einer kontinuierlichen Verlagerung Richtung Berlin führt, und wenn alle neuen Arbeitsverträge für Stellen in Bonn mit einer Klausel versehen würden, die einen späteren Umzug nach Berlin auch ohne außergewöhnliche Ausgleichsmaßnahmen mit einschließt."

Edmund Lauterbach, Unterschleißheim

Keine Verurteilung wegen "angeblich"

"Der Artikel über Größe und Fall des Mike Tyson ( 'Mythisches Monster', 8. April 2009) ist auch aus der Sicht eines Sportmuffels in allen Aspekten excellent dargestellt und geschrieben. Kompliment für Jonathan Fischer!

Dennoch erlaube ich mir auf einen kleinen sprachlichen Lapsus aufmerksam zu machen. Es heißt dort also: 'Er wird wegen angeblicher Vergewaltigung (...) zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.'

Das Wort 'angeblich' ist in diesem Zusammenhang überflüssig, irritierend und letztlich irrtümlich. In einem Rechtsstaat, hierzu zählen die USA, wird niemand wegen angeblicher Verbrechen verurteilt, von Ausnahmen evtl. Justizirrtümer abgesehen.

Wenn Tyson also rechtskräftig verurteilt wurde, kam das Gericht seinerzeit zum Schluss, dass er die Tat konkret begangen hatte, nicht aber angeblich. Angeblich bedeutet ja nach Angaben unbeteiligter Dritter. Verurteilt wurde er aber wegen erwiesener Schuld. Die Juristen in der Redaktion werden mir sicher beipflichten."

Georg Wanke, Freiburg

Rigides Urteil

"Die Serie, die die SZ zum 60-jährigen Bestehen des Grundgesetzes begonnen hat, zeichnet sich durch ihr rigides Urteil über die politische Gründergeneration der Bundesrepublik aus. Ob man der Geschichte mit dem Kernsatz, dass sich die Deutschen für den Preis von weniger als einem Glas Bier pro Monat die moralische Eintrittskarte für die Völkergemeinschaft erkauft habe, gerecht wird, ist fraglich.

Wo genug Grund zur Kritik an dieser Republik gegeben ist, stellt es die Glaubwürdigkeit des Artikels ('Adenauers symbolische Wiedergutmachung', 11.-13. April 2009) infrage, wenn er zu solcher Argumentation greift. Gehen wir davon aus, dass 'Wiedergutmachung' angesichts des Geschehenen ein absurder Begriff ist. Hier konnte und kann nichts mehr gut werden. Man sollte aber nicht zur böswilligen Karikatur übersteigern, was ohnehin unerträglich ist.

Hier zeigt eine selbstgerechte jüngere Generation, dass sie historisch zu denken nicht bereit ist. Charakteristisch sind die Geldvergleiche des Beitrags zur Wieder-gutmachung. Sie sind für den normalen Leser nicht verständlich, denn der Artikel lässt den Wandel des Geldwerts und des Dollarkurses über ein halbes Jahrhundert hinweg unerklärt. 150 DM, also 75 €, für einen Monat Auschwitz, erscheinen für den heutigen Blick als blanker Zynismus. 1953 aber war dieser Betrag immerhin ein halber Arbeiterlohn.

Damit hier kein Missverständnis geschieht: Als 'Wiedergutmachung' war das mangelhaft, ja unerträglich, aber ein Ansatz. Die Zahlen von 1953 muss man in eine Relation setzen zu einem Sozialprodukt von ca. 150 Mrd. DM - im Vergleich zu heute ca. 3 Billionen €.

Psychologisch bedeuteten die drei Mrd. Mark für Israel und die andere Halbmilliarde so etwas wie 50 bis 70 Mrd. € heute - nach der Finanzkrise eine Bagatelle, aber noch 2007 ein ernsthafter Betrag. Deutschland war damals - natürlich selbstverschuldet - arm, sein künftiger Reichtum noch nicht absehbar. Der Vertrag war in den Proportionen des Jahres 1953 und bei der massiven Uneinsichtigkeit großer Teile der deutschen Bevölkerung mehr als eine symbolische Leistung.

Dass Adenauer die Handlungsfähigkeit seines Landes wiederherstellen wollte, kann ihm nicht als moralische Unanständigkeit gegengerechnet werden. Das war seine politische Funktion. Wichtige Teile der politischen Elite und viele Deutsche - nicht die Mehrheit - haben hier Konsequenzen der Geschichte zu ziehen sich ernsthaft bemüht. Man tut der notwendigen und genauen Kritik an der frü-hen Bundesrepublik keinen Gefallen, wenn man sie mit Bierdeckelrechnungen zur blinden Empörung steigert."

Herbert Prokasky, Düsseldorf

© SZ vom 18.04.2009/sus/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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