16. Mai 2009:Die unbekannte Weltmacht

Lesezeit: 3 min

Bald ist Europawahl, aber keinen interessiert's: SZ-Leser diskutieren zur Rolle der Medien und der Parlamentarier selber.

Zu "Die ungeliebten Kollegen aus Straßburg" (4.Mai) schreiben Leser:

Wie viel Einfluss haben Europas Abgeordnete? Und wie sehr engagieren sie sich für die Bürger in den EU-Mitgliedsstaaten? (Foto: Foto: dpa)

"Alle (fünf) Jahre wieder kommt es zur Europaparlamentswahl und alle (fünf) Jahre wieder ertönt in allen Blättern und Medien des Landes die Klage über das bedauerliche Desinteresse der Bürger an Straßburg. Und dies, obwohl Macht und Einfluss des europäischen Parlaments stetig wachsen. Wo sind die Ursachen zu suchen? Neben vielen anderen sollte man auch folgendes in den Blick nehmen: Das allfünfjährlich wiederkehrende Lamento der Medien über die Europaferne der deutschen Bürger ist scheinheilig.

Die deutschen Meinungsmacher müssen sich an diesem Punkt vor allem an die eigene Nase fassen. Denn die Wahl seiner Abgeordneten ist auch so ziemlich der einzige Anlass, zu dem das Europaparlament flächendeckend und in großer Aufmachung den Weg in Presse, Funk und Fernsehen schafft. Aus Berlin, aber auch aus München, Düsseldorf oder Schwerin kommen jeden Tag die genauesten Berichte über Entscheidungen, öffentliche oder auch nicht so öffentliche Absprachen von Parteien, Fraktionen oder Lobbyisten. Aus Straßburg (oder auch Brüssel) so gut wie nichts. Kurz gesagt: Straßburg und Europa existiert offenbar in den Köpfen der deutschen Journalisten genauso wenig wie in denen aller übrigen Bürger.

Es ist also offenbar nicht nur in der Bevölkerung und bei den Politikern, sondern auch bei den Medien noch nicht angekommen 'wie viel Macht' die EU-Abgeordneten 'haben' (Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter), und dass die Fixierung auf nationale und regionale Dimensionen angesichts von Globalisierung und Weltwirtschaftskrise ziemlich schildbürgerlich anmutet. Weniger, aber immer noch viel zu sehr gilt dies im Übrigen auch für die Treffen der EU-Regierungschefs, der Außen- und Finanzminister sowie anderer wichtiger EU-Institutionen, und -ereignisse.

Die Folge? Wir, die Wähler, wissen eben auch so gut wie nichts über Aufbau, Struktur, Arbeit und Aufgaben des europäischen Parlaments. Vor allem aber wissen wir nichts über die tatsächlichen und aktuellen Machtkonstellationen dort, nichts darüber, welches Land - auch parteiübergreifend - welche Interessen vertritt, welche Parteien/Fraktionen für welche Länder in Straßburg sitzen, wer diese Fraktionen anführt, was deren vorderste Ziele sind, welche Koalitionen sich länderübergreifend zwischen Fraktionen ähnlicher politischer Couleur bilden, und wo dagegen nationale Gesichtspunkte überwiegen. Und da ist es eben schwer, jemanden zu wählen, den man nicht kennt, von dem man nicht weiß, was er tut, nicht einmal, wie er aussieht.

Vielleicht ist es dem einen oder anderen Abgeordneten sogar ganz recht, so ungestört vor sich hinarbeiten zu können und nicht permanent dem Rechtfertigungsdruck der Öffentlichkeit standhalten zu müssen. Aber eben genau dies - die Beobachtung und Kontrolle der Parlamente und Regierenden durch die Öffentlichkeit - ist bekanntlich einer der wichtigsten Grundpfeiler der europäischen Demokratien.

Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte das Interesse der Bürger für Europa und Straßburg durch die Medien noch viel mehr gezielt geweckt werden. Dies zum einen, indem die großen Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung, aber auch Rundfunkanstalten und Nachrichtenagenturen ebenso ständige Berichterstatter in Straßburg vor Ort haben, wie dies beispielsweise in Berlin der Fall ist.

Zum anderen wäre eine dauerhaft eingerichtete, fest verankerte, für Berichte aus und über Straßburg reservierte Seite hilfreich. In ihr werden regelmäßig sowohl grundlegende Informationen über Struktur und Arbeit des Parlaments sowie anderer EU-Institutionen berichtet als auch aktuelle Vorgänge, Personalia, Verabschiedung von Verordnungen. Vielleicht sollten die Redaktionen auch ein eigenes Europa-Ressort einrichten, um den Fokus von der Zweiteilung Inland-Ausland wegzulenken hin auf eine gesamteuropäische Perspektive. Das Internet jedenfalls kann die traditionellen Öffentlichkeitsforen bei dieser Aufgabe nicht ersetzen, weil ein Interesse für Europa schon da sein muss, um die entsprechenden Seiten überhaupt anzuklicken."

Dr. Regine Romatka-Hort Holzkirchen

Abgetaucht in Brüssel

"Die EU-Abgeordneten brauchen sich doch gar nicht wundern, dass sie in der Bevölkerung keine Akzeptanz haben! Sie sind es doch, die am meisten dazu beitragen, dass der Bürger sich von ihnen abwendet. So quillt drei Wochen vor der Europa-Wahl der Postkasten mit Prospekten der Parteien und der Kandidaten über.

Nach Wahl verschwinden die Abgeordneten nach Brüssel und man kann sie das ganze Jahr nicht erreichen. Keiner von denen ist je auf die Idee gekommen, ich könnte ja meinen Wählern zu Hause meine E-Mail-Adresse geben, damit sie mich mit einem Anliegen erreichen können. Nein, sie schirmen sich die ganze Zeit ab und kommen nur eben in der oben erwähnten Zeit aus der Deckung.

Seit 10. April 2009 haben wir das EU-Gesetz, dass die Verpackungen nicht mehr einheitlich sein müssen. Gleich große Verpackung, weniger Inhalt, aber dafür gleicher Preis oder sogar teurer. Ich habe vier Parteien angeschrieben und Beispiele geliefert, wie dreist die Firmen die Mogelpackungen bereits ausnutzen. Nur ein Schreiben wurde beantwortet, aber der Schreiber war sogar noch stolz auf dieses Gesetz! Seine Begründung war, dass nun ein Single-Haushalt kleinere Packungsgrößen kaufen kann.

Ich vermute, dass es genug Lobbyisten in und um Brüssel gibt, die die Abgeordneten auf ihre erprobte Art bearbeiten, dass so eine 'Mogelpackung' zum Gesetz gemacht wird. So lange wir Bürger kein Forum und keine Möglichkeit von Einwänden mittels E-Mail oder Telefon haben, wird sich der mündige EU-Bürger immer mehr von dieser EU-Politik abwenden. Ein Herr Stoiber sollte die Gesetze entrümpeln, aber nur die für die Industrie und Handwerk, eventuell auch für die Bauern. Ich habe noch keinen messbaren Erfolg vernommen."

Walter Munz Unterhaching

© SZ vom 16.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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